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4. August 2005

von Dominique Falentin 04.08.2024, 8 Min. Lesezeit

#otd: VOLKSPALAST – Der Berg

Werbebanner für die Installation »Der Berg« im Palast der Republik, 2005
© picture-alliance/ dpa / dpaweb | Bernd Settnik
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Am 4. August 2005 wurde »Der Berg« eröffnet, eine der größten Aktionen der gesamten kulturellen Zwischennutzung des Palastes als VOLKSPALAST zwischen 2004 und 2005. Veranstaltet von den Sophiensælen, dem HAU Hebbel am Ufer, raumlabor berlin und Club Real hatten sich mehr als 100 Künstler*innen zusammengefunden und die begeh- und erlebbare Installation namens »Der Berg« geschaffen. Diese war ein Gebilde aus unzähligen Gerüstbaustangen und Stoffplanen und zog sich durch das gesamte Haus. Dreieckige Flächen prägten die äußere Gestalt der Installation und verliehen dieser die Wirkung eines 3D-Rasters.

Dieser Beitrag versucht anhand schriftlicher Überlieferungen sowohl Konzeption als auch Funktionsweise der Installation nachzuvollziehen.

Warum eigentlich ein Berg? Im Grunde ist die Antwort simpel: um die endlosen Debatte rund um die Fassade und ästhetischen Ansprüche an das künftige Gebäude in der Mitte der Stadt nicht weiter fortzuführen. Aus diesem Ansatz heraus entschied sich das Planungsteam für ein verfremdetes, romantisiertes Naturbild. Es ging ihnen um die Umdeutung sowie Entideologisierung des höchst aufgeladenen Ortes und das Aufzeigen seines Potentials als freien Kulturraum unter der Losung: Wer es wagt, einen Berg zu erklimmen, muss sich auf der Wanderung sich selbst und der Natur stellen. Doch wem es gelingt, der wird zu neuen Sichtweisen gelangen und daran wachsen. Die Anstrengung des Aufstiegs wurde äquivalent zur Auseinandersetzung mit diesem besonderen Ort umgesetzt. Insgesamt 45.000 Besucher*innen wagten innerhalb der drei Wochen Laufzeit den Aufstieg.

Der Berg konnte über die Fassade des Palastes im ersten Geschoss betreten werden. Der Einstieg in die Installation erfolgte über den sogenannten Rundwanderweg. Dieser führte auf einer vier Meter hohen Brücke durch den Großen Saal, in dem einst Bälle, Konzerte und Parteitage stattgefunden hatten. Selbst im entkernten Zustand entfaltete der Saal noch seine beeindruckende Wirkung. Anschließend konnten sich die Besucher*innen beim Verlassen des Rundweges in verschiedenen Bergarealen der Videoinstallation Goldstaub widmen, welche Interviews mit Gästen, Mitarbeiter*innen, Künstler*innen und Politiker*innen zeigte oder sich die Ausstellung Abriss und dann? X Ideen für den Berliner Schlossplatz ansehen. Diese war ein Ergebnis eines im Juli 2005 stattgefundenen Symposiums der Gruppe Urban Catalyst, die nicht länger an der Schloss-Palast-Debatte festhalten wollte, vor allem da sie die Schlossrekonstruktion finanziell als utopisch betrachtete. Stattdessen wollte sie dazu anregen, über alternative und innovative Nutzungskonzepte nachzudenken. Zu diesem Zweck hatten verschiedene internationale Architekturbüros Beiträge eingereicht, die in der Ausstellung zu sehen waren.

Wem diese Eindrücke genügten, der konnte anschließend die Berg-Installation wieder verlassen. Doch wer nach der ersten Etappe weitergehen wollte, konnte zwischen drei Wanderwegen mit verschiedenen Schwerpunkten wählen. Jeder einzelne Weg bot je sieben Stationen, die jeweils von verschiedenen Künstlergruppen entwickelt worden waren. Alle Wege führten zum »Plateau des schönen Scheiterns«, auf dem sie auch endeten und wo alle erreichten Erfolge und Einsichten des Aufstiegs wieder zerstört wurden. Darüber, wie dies erreicht werden sollte, bleiben die Berichte und Konzeptionstexte im Unklaren.

Doch nun zu den verschiedenen Erfahrungswelten der drei Wege:

Der Bergsteigerweg war von acht Architektenbüros gestaltet worden. Seine Pfade waren verschlungen sowie uneinsichtig und ihn zu erlaufen, konnte körperlich recht anstrengend werden. Die Teilnehmer*innen kamen teilweise an ihre physischen Grenzen, doch konnten sie der quälenden Weitläufigkeit des Gebäudes nicht entkommen. In den verschiedenen künstlerischen Interventionen wurden die Teilnehmer*innen zusätzlich an ihre Grenzen getrieben, indem sie zum Beispiel Rettungsaktionen spielten oder Stürze und bekannte Bergsteigerunfälle nachstellten. Die Gruppen wurden von Bergführern begleitet, die den Aufstieg erschwerten, dafür aber etwas über das Palast-Berg-Panorama erzählten.

Der Pilgerweg glich einer modernen Wallfahrt spiritueller Reinigung. Die Teilnehmer*innen trafen an verschiedenen Orten auf kollektive und rituelle Praktiken sowohl religiöser als auch weltlicher Natur und waren dazu eingeladen, sich zu beteiligen. Der Palast wurde zu einem heiligen Ort. An den unterschiedlichen Stationen wurden spirituelle Praktiken wie die Heiligenverehrung, Wundersuche, aber auch Prediger und Bestattungstechniken thematisiert und die Transformation ebensolcher Rituale innerhalb einer Gesellschaft, die nicht mehr religiös geprägt ist, dargelegt. In einer Felskapelle abseits des Weges wurden heutige Glaubensformen verhandelt. Dort befand sich ebenso das Büro der Bergpartei, die sich im Juni desselben Jahres gegründet hatte und sich politisch für den Erhalt des Palastes engagierte. Sie existiert aufgrund der 2011 vollzogenen Fusion mit der ÜberPartei auch heute noch.

Der Philosophenweg hingegen nahm die Besucher*innen mit auf eine kontemplative Reise, auf der die Teilnehmer*innen ihren Orientierungssinn verlieren konnten bzw. sollten, um sich einem philosophischen Irren und Suchen hinzugeben. Der Weg zeigte unterschiedliche Besetzungen des Ortes auf, des Palastes als öffentlicher Raum, als politische Stätte und den Berg als Areal auf dem die Teilnehmenden sich mit sich selbst und ihrer Erfahrungswelt auseinandersetzen. Ob und wie sie sich im Raum zurecht- und auch wiederfanden, welche Vorstellungen, Weltbilder, Utopien und Erleuchtungen erschüttert oder bestärkt wurden, kann man nur ahnen.

Die gigantische künstlerische Intervention stellte die Besucher*innen vor ganz unterschiedliche intellektuelle, emotionale und psychische Herausforderungen. Im besten Fall ist die Wahrnehmung des Palastes und der Berliner Mitte vieler Besucher*innen durch die verschiedenen Angebote, den Ort neu und anders zu denken, irritiert worden. In den Medien ist der Berg vor allem mit Enttäuschung aufgenommen worden, da die letzte große Aktion des VOLKSPALASTES nicht als ein entschiedenes Statement gegen den Abriss des Palastes verstanden wurde. Im Palast fanden bis Ende 2005 noch einige kulturelle Veranstaltungen statt, die jedoch nicht vom VOLKSPALAST-Team geplant wurden. Im Februar 2006 begann der Abriss des Palastes der Republik.

 

Zum Nach- und Weiterlesen:

VOLKSPALAST – Programm | www.zwischenpalastnutzung.de

VOLKSPALAST – Der Berg | www.zwischenpalastnutzung.de

Zwischennutzung des Palast der Republik. Bilanz einer Transformation 2003ff, hg. von Zwischenpalastnutzung e.V. und Bündnis für den Palast in Kooperation mit Urban Catalyst, Dezember 2005. (PDF) | schlossdebatte.de

Amelie Deuflhard / Philipp Oswalt u. a. (Hg.): VOLKSPALAST. Zwischen Aktivismus und Kunst (Theater der Zeit Recherchen, Bd. 30), Eggersdorf 2006.

Brigitte Schultz, Volkspalast – Der Berg, 2005 (PDF) | www.bauwelt.de

Jan Kedves, Besinnung in stockdusteren Boxen, 11. 8. 2005 | taz.de

Kirsten Riesselmann, Das »Mach was«-Kraut am Berg, 26. 8. 2005 | taz.de

Der Berg, 2005, Berlin | raumlabor.net

Der Berg | clubreal.de

Volkspalast 2005: Der Berg | sophiensaele.com

Dominique Falentin ist Teil des kuratorischen Ausstellungsteams »Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart« und des Programmteams. Sie ist Kunstwissenschaftlerin und seit 2012 in Berlin. Sie absolvierte ihr Studium an der Freien Universität, der Humboldt Universität und der Technischen Universität Berlin. Ihre Masterarbeit schrieb sie über den Palast der Republik in der Erinnerungskultur anhand von Ausstellungen des Jahres 2019. Seit Mitte 2022 ist sie wissenschaftliche Assistentin beim Projekt Palast der Republik in der Stiftung Humboldt Forum.

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