29. Januar 1983
»Ich bin lieb, ich bin immer lieb.
Zu allen Leuten lieb.
Immer still und bescheiden.
Lass alles gelten und sagen
wenn andre pfeifen, ich tanze. […]«
»Ich bin lieb« sang André Herzberg, Frontmann der Band »Pankow«, im Januar 1983 im Palast der Republik. Doch dann wurde die Übertragung im Fernsehen unterbrochen und im Radio sprachen die Moderatoren einfach auf die Aufnahme, sodass es nicht möglich war, den Auftritt weiterzuverfolgen. Dieser Teil des Festival-Mitschnittes fehlte sodann auch auf der Schallplatte mit den Live-Aufnahmen von »Rock für den Frieden« 1983 aus dem Palast.
»Rock für den Frieden« war ein Musikfestival, welches zwischen 1982 und 1987 jeweils im Januar über mehrere Tage im Palast der Republik stattfand. Der Palast verfügte über die nötige technische Ausstattung, um große Konzerte, mit genügend Platz für viele Zuschauer*innen zu veranstalten. Organisiert und eingeladen wurde unter anderem von dem Zentralrat der FDJ und dem Komitee für Unterhaltungskunst der DDR. Die Veranstalter nutzten das beliebte Festival zur Verbreitung politisch-ideologischer Friedens-Propaganda und holten dafür die bekanntesten Rock-Bands der DDR auf die Bühne, die sich mitunter der politischen Vereinnahmung zu entziehen suchten. Die Band »Pankow« galt in den 1980er Jahren zu den einflussreichsten Gruppen der DDR-Rockszene. Ihre Auftritte verbanden musikalische Experimentierfreude mit gesellschaftskritischen Botschaften, die oft zwischen den Zeilen formuliert waren.
Die am Anfang beschriebene Szene gehört wohl zu den denkwürdigsten Auftritten der Band. Herzberg sang nicht nur über die Gefahren blinder Anpassung und sprach über »schlimme Zeiten« und »Parteien, die alle den richtigen Weg wussten«, sondern trat zudem in einer militärischen Uniform auf, während im Hintergrund auf einer großen Leinwand Bilder von Krieg und Zerstörung zu sehen waren.
Mit dieser Performance, unterstrichen von eindringlicher Musik, konnten Herzberg und »Pankow« ihre gesellschaftskritischen Töne auf großer Bühne präsentieren und das Festival-Publikum zum Nachdenken über die Mechanismen von Macht und Gehorsam anregen. In einem Interview mit dem westdeutschen Journalisten Peter Wensierski noch am selben Tag des Auftrittes äußerte sich Herzberg wie folgt: »Wir finden es unheimlich bedrückend, dass zu wenig Leute den Mut haben, gegen das, was sie stört, vorzugehen und einfach aktiver zu leben.«(1) Für die Band ging es nie nur um die Darbietung schöner, unpolitischer Klänge. Ganz im Gegenteil war ihnen bewusst, wer im Publikum im Palast sitzt und wen sie mit ihrer Kunst erreichen können.
Bereits mit ihrem Bandnamen, der an den Ost-Berliner Stadtbezirk, in dem die politische und kulturelle Funktionärselite wohnte und der zugleich an den saloppen westdeutschen Ausdruck für das DDR-Regime erinnerte, provozierte die Band zu ihrer Zeit, spielte aber auch mit der Assoziation, die an Punk und Aufruhr denken ließ. Der Song »Ich bin lieb« vermittelt auf den ersten Blick etwas Harmloses, lässt aber bei genauerem Hinhören Raum für tiefere Interpretationen. Letztlich ist er eine punkmusikalische Reaktion auf die Konformität und Anpassung in der autoritären DDR-Gesellschaft und zeigt auf rockige, unkonventionelle Weise die Absurdität übertriebener Unterordnung.
Im November 2024 erschien eine letzte Single von André Herzberg mit dem Gitarristen Jürgen Ehle, Schlagzeuger Stefan Dohanetz und Keyboarder Andreas Dziuk. Im Jahr 2025 tourt die heute immer noch bekannte Ost-Band mit dem Titel »Bis Zuletzt!« nach 44 Jahren ein letztes Mal. Insgesamt sind 14 Konzerte in ostdeutschen Städten geplant.
Zum Nach- und Weiterlesen
Michael Rauhut, Rock in der DDR, 1964 bis 1989, Berlin 2002.
André Herzberg, Keine Stars. Mein Leben mit Pankow, Berlin 2021.
Nelly Evers ist seit September 2024 FSJ-lerin im Bereich »Geschichte des Ortes« der Stiftung Humboldt Forum. Geboren in Braunschweig hat sie im Sommer 2024 ihr Abitur gemacht und unterstützt im Rahmen ihres Freiwilligen Sozialen Jahres Kultur das GdO-Team.
(1) Peter Wensierski, Brisanter Punk im Palast der Republik, DER SPIEGEL vom 19.05.2015 | www.spiegel.de (nach oben ↑)

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Ein sehr spannender Artikel!
Ich find es immer wieder interessant und inspirierend, wie politische Debatten mit Kunst und Künstler*innen in unmittelbarer Verbindung stehen.
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