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Theater, Galerie & Experimentierfeld: STUDIO teatrgaleria in Warschau

von Dominique Falentin 05.01.2023, 12 Min. Lesezeit

Studienreise 2022 »Post/Sozialistische Paläste« – 1. Reisetag: Warschau

Teatr Studio im Kultur- und Wissenschaftspalast (Pałac Kultury i Nauki) Warschau
© Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / Dominique Falentin
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Wer hätte das gedacht? Schon in den frühen 1970er Jahren etablierte sich ausgerechnet in Stalins klassizistisch-sozialistischem Repräsentationsbau eine moderne Galerie, die Installations- und Performancekünstler*innen zeigte.

Zwei symmetrisch angelegte Theaterbauten flankieren den Haupteingang des Warschauer Kultur- und Wissenschaftspalastes: linker Hand das »Teatr Dramatyczny«, rechterhand das »Teatr Studio«. Die großen Leuchtbuchstaben weisen uns den Weg zu unserer Verabredung in der »Galeria Studio«. Wir treffen uns mit Paulina Olszewska, die uns sogleich in ihr Büro und Archiv führt. Sie ist seit drei Jahren hier Kuratorin und hat 2020 an der Ausstellung »48: The Galeria Studio Collection in Warsaw« mitgearbeitet. Auch an diesem Montag ist viel los, denn abends steht eine Vernissage ins Haus. Wir freuen uns sehr, dass sie Zeit für uns gefunden hat.

Paulina Olsyewska und Julia Nickel im Gespräch
© SHF/ Dominique Falentin

Sie erzählt uns, dass beide Häuser als klassische Theater geplant und bis in die 1970er-Jahre so bespielt wurden. Bis Regisseur und Künstler Józef Szajna 1972 die Leitung des heutigen »Teatr Studio« (damals noch Teatr Klasyczny / klassisches Theater) übernahm und sogleich mit der Umstrukturierung des Hauses begann. Noch im selben Jahr gründete er die Galeria Studio als Ausstellungsort und Produktionsstätte für die derzeit unterrepräsentierte moderne und zeitgenössische Kunst. Wichtig zu wissen ist, dass Józef Szajna Kunst interdisziplinäre und spartenübergreifend dachte. Aus diesem Grund ist die Galeria ein integraler Bestandteil des Theaters. Sie wurde fortan zu einem Experimentierfeld für Performance, Visual Arts und Performing Arts, in denen der angesehene, progressive Kommunist auch seine Erfahrungen aus Auschwitz künstlerisch verarbeitete.

Mit Gründung der Galerie begann ebenso die Sammlungstätigkeit. Neben den experimentellen Schauen mussten auch politische Propaganda-Ausstellungen ausgerichtet werden. Daraus ergibt sich heute ein faszinierendes Sammlungsbild. Neben jungen Künstler*innen aus Europa und Osteuropa befinden sich viele Kunstwerke der polnischen Nachkriegsmoderne und Avantgarde sowie sozialistische Kunst im Besitz der Galeria.

Die Auseinandersetzung mit der inhaltlichen und räumlichen Verstrickung von Theater und Galerie spiegeln sich auch in der 2016 erfolgten Umbenennung des Hauses in STUDIO teatrgaleria. Die abendliche Ausstellungseröffnung MEMORY IS OUR WEAK SPOT der beiden Künstler Wojtek Pustoła und Wojtek Ziemilski zeigt sich entsprechend interdisziplinär: Die beiden haben eine Vielzahl an Gegenständen aus dem Theaterdepot des Hauses zusammengetragen, die sie innerhalb einer zwei Wochen andauernden Performance zu einer raumgreifenden Installation formen (Austellungsdauer bis 1.1.23).

Objekte aus dem Theaterdepot vor der Eröffnung MEMORY IS OUR WEAK SPOT Wojtek Pustoła & Wojtek Ziemilski
© SHF/ Dominique Falentin
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Eine Konkurrenz zum Museum für Moderne Kunst, dass im Laufe von 2023 in der Nähe einen Neubau eröffnet, existiere nicht. Die Kolleg*innen haben gute Beziehungen zueinander und freuen sich über Austausch und gemeinsame Projekte. Funfact: Die ehemalige »Temporäre Kunsthalle Berlin« steht heute in Warschau und wird vom Museum als zusätzliche Ausstellungsfläche genutzt – allerdings mit neuer Außengestaltung ohne Palast der Republik oder Wolken.

Apropos Palast der Republik: Sorge um den Abriss des Pałac Kultury i Nauki macht man sich nicht. In den 1990ern gab es Initiativen, die sich für den Abriss des Stalin-Palastes einsetzten oder Ideen und Projekte zur »Entdominierung des Kulturpalastes« entwickelten. Das meiste wurde wegen fehlender finanzieller Mittel verworfen. Heute wird das gesamte Areal von der Stadt Warschau verwaltet und steht unter Denkmalschutz. Verschönert werden soll es trotzdem. Die Grundstruktur wird erhalten, doch die Betonflächen des Paradeplatzes (Plac Defilad) sollen Grünanlagen weichen. Mit Sicherheit ein Gewinn für die Galerie, das Theater und die Open-Air-Sommerveranstaltungen.

Dominique Falentin ist Teil des kuratorischen Ausstellungsteams »Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart« und des Programmteams. Sie ist Kunstwissenschaftlerin und seit 2012 in Berlin. Sie absolvierte ihr Studium an der Freien Universität, der Humboldt Universität und der Technischen Universität Berlin. Ihre Masterarbeit schrieb sie über den Palast der Republik in der Erinnerungskultur anhand von Ausstellungen des Jahres 2019. Seit Mitte 2022 ist sie wissenschaftliche Assistentin beim Projekt Palast der Republik in der Stiftung Humboldt Forum.

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