»Was Siggi im Palast entdeckt«
Im Vorabendprogramm des 14. Oktober 1976 bescherte das DDR-Fernsehen Kindern und Jugendlichen einen bemerkenswerten Innenblick auf den keine sechs Monate zuvor eröffneten Palast der Republik. Unter dem Titel »Was Siggi im Palast entdeckt« führt rund 30 Minuten lang der Schauspieler und Moderator der Reihe »Guckkasten für kleine Leute«, Siegfried Fiedler, durch das Gebäude. Der schnauzbärtige »Palast-Entdecker« geht auf Erkundungstour. »Siggi« trifft sich mit Menschen, die dort zu tun haben und wird nicht müde, vom gerade Erbauten zu schwärmen. Viel Glanz, viel Technik, viel Kultur und nicht zu vergessen: viel Politik. All dies verrührt Fiedler zu einem uneingeschränkten Loblied auf den Palast – und die DDR. Integriert sind dabei Appelle an die Heranwachsenden, sich bei allem Staunen »richtig« zu verhalten, gesellschaftspolitisch gesetzte Normen zu beachten und zu erfüllen.
Die Sendung »Was Siggi im Palast entdeckt« gehörte zu einer Medienkampagne, die das Werden des Gebäudes von seiner Grundsteinlegung am 2. November 1973 bis ins erste Jahr des Betriebes begleitete. Presseartikel, Radio- und Fernsehbeiträge sowie Filme dienten dem Ziel, die seit 1972 unter Erich Honecker veränderte DDR-Innenpolitik mit ihren starken Akzenten auf Kultur, Freizeit und Wohlbefinden zu illustrieren. Entpolitisiert war diese Neuausrichtung mitnichten, das machte sowohl der Palast selbst (mit dem Sitz der Volkskammer) als auch der Rummel um ihn deutlich. Die meisten Medienprodukte mussten dabei einem Widerspruch begegnen: Einerseits sollte das Haus mit seinen Angeboten als exemplarischer Mikrokosmos für die funktionierende DDR unter Honecker dargestellt werden. Zum anderen bot sich der Palast an, etwas Einzigartiges zu präsentieren, da er im Republikmaßstab eine herausragende Position einnahm. Er zelebrierte das Zukünftige und eben noch nicht Erreichte, kalkulierte sicher auch mit den Tagesbesucher*innen aus der »Rest-DDR«, die in Ost-Berlin stets mehr Konsum-Möglichkeiten und andere Annehmlichkeiten vorfanden bzw. erwarteten. Das Hantieren mit Superlativen blieb so ein wesentliches Element fast jeder medialen Äußerung zum Palast bis etwa 1978 – bei »Siggi« etwa der Schlusshinweis auf seine 24 Ein- und Ausgänge.
Moderne Technik überall
Die Reihe »Guckkasten für kleine Leute« adressierte vor allem 10-16-jährige Jungen wie Mädchen, in Ankündigungen lief sie als »Kindersendung für Pioniere«. In der Schule waren sie zu einem verstärkten Technikinteresse erzogen worden. Diese angenommene Affinität greift der Film auf, versucht sie auszunutzen: So geraten schon zu Beginn, wenn vor Tagesöffnung die Putzkolonnen mit dem im Film herausgehobenen »Lampenputzer Kalle« unterwegs sind, eine Hebebühne und zwei »Großraumreinigungsmaschinen« ins Bild. Später bei der Visite in der Großküche sollen der große Wurst-Bereiter und eine Brot-Bestreich-Maschine zeigen, dass vieles hier ebenfalls »automatisch« abläuft, um den Gästeansturm in den Restaurants zu bewältigen.
Die Fortschrittsidee jener Zeit äußerte sich – analog der damaligen wirtschaftlichen Gesamtstrategie – in der zunehmend mechanisierten, ja automatisierten Produktion. Der Mensch war von körperlicher und monotoner Arbeit entlastet, musste in der DDR idealerweise aber natürlich keine Angst vor dem Jobverlust haben. Die Freude beim maschinengestützten Tiefenreinigen von Bodenbelägen und Palastsofas sowie dem Abstauben von Deckenlampen, mündet in »Was Siggi im Palast entdeckt« so in einen optimistischen Gesang: »Für die Lampen, große kleine, braucht man heute keine langen Beine, weil wir selbst fürs Lampenputzen unsere neue Technik nutzen.« In der nächsten Strophe erhebt sich dann erstmals der belehrende Zeigefinger, wenn auf vermeidbaren Schmutz hingewiesen wird: »Donnerlüttchen manche Flecken kann man hier und da entdecken. Kugelschreiber, Schokolade – na zum Glück gibt’s die Brigade!« Und schließlich: »Ein plattgelatschter Kaugummi mitten auf dem schönen Teppich, find ich gar nicht nett.«
Nebenbei (und eigentlich nur beim Anhalten der Bilder erkennbar) geraten die »Wetrok«-Aufschriften auf den Schweizer-Bodenreinigungsmaschinen vor die Kamera. Der Kommentar ignoriert ihre nichtsozialistische Herkunft und preist stattdessen den verwendeten Schaumreiniger vom »VEB Domal«, mit dem Polster und Fußböden so wunderbar sauber würden. In dieser kleinen Szene konkretisiert sich somit die mediale Strategie zum Palast der Republik, ihn als Spitzenleistung von DDR-Betrieben, einheimischen Bauleuten und NVA-Soldaten zu würdigen und das für Devisen angeschaffte »westliche« Know-how, hier der Firma Wetrok, unerwähnt zu lassen.
Eine junge Frau und »Siggi« als Macho
Die Sendung sollte bei 10- bis 16-Jährigen durch eine altersgerechte Ansprache punkten. Dazu zählt ein lockerer Ton genauso wie Aussehen und Auftreten der Mitwirkenden. Der agile, sportlich auftrumpfende und modisch gekleidete Siegfried Fiedler kommt dabei ein wenig machohaft daher, während die junge blondhaarige Frau, die ihn begleitet und einen Teil der Besichtigungstour bestreitet, als »Hostess Sabine« vorgestellt wird. Beide haben sich im Palast verabredet. Schon vor ihrer ersten Begegnung wird sie durch den Off-Kommentar sexuell konnotiert: »Ah, da kommt ja schon unsere flotte Biene, ich meine die Hostess Sabine.«
Ihr Zusammentreffen und ihr Spiel miteinander lassen sich einerseits als »Anbaggern« (von Fiedler) und andererseits als »Anbieten« (durch die »Hostess« Sabine) lesen. In dieser Konstellation bleiben beide Figuren den in den 1970er Jahren üblichen Geschlechterrollen verhaftet, die auch in der DDR trotz offiziell verkündeter Gleichberechtigung der Frau vorherrschten. Sabine wirft »Siggi« und dem TV-Publikum immer wieder einladende Blicke zu, während sie von Palast-Postkarten und Ersttagsbriefen erzählt. Und er kann sich »überhaupt nicht satt sehen«, ist gar ein wenig überfordert, wobei in der ersten Bedeutungsschicht natürlich der Palast und nicht die Begegnung mit Sabine gemeint ist. Sie ist bereit, springt ihm sofort zur Seite: »Keine Angst, ich helfe Dir.«
Später kommen sie erneut zusammen. Nur hat Fiedler nach den ganzen Küchenerlebnissen aus Versehen seine Kochmütze aufbehalten, sich wohl auch verspätet. Sabine – gerade mit einer Kindergruppe unterwegs – erkennt sofort die Situation und spielt die Fürsorgliche: »Komm, ruh Dich mal einen Moment aus, hier stehen überall bequeme Sessel.« Er kontert mit einer entschuldigenden Frage und ist nach einer Prahlerei wieder obenauf: »Du Sabine, musstest Du schon mal 2.000 Portionen Gemüse putzen?« Bei den Mengen hat sie sofort verziehen, muss aber erst ihre Führung beenden. Unterdes ist Siegfried Fiedler an einer verschlossenen Glastür angekommen und schaut durch die Scheiben ins Dunkle. Sie tritt hinzu, piekst ihn an: »So wirst Du bestimmt kaum alles entdecken.« Gemeinsam besichtigen sie den dahinter liegenden Großen Saal. Danach ruft Fiedler anerkennend aus: »Oi Sabine, das ist eine enorme Technik.«
Gerade die sexualisierten, mehrdeutigen Dialoge sollten offensichtlich junge Erwachsene bei der Stange halten, wenngleich sie vielleicht schon damals bei der Zielgruppe als verstaubt galten und aus der Zeit gefallen waren. Dies ist dem Rollenschema, der naiv agierenden Frauenfigur sowie dem machohaften Verhalten von »Siggi« zuzuschreiben. Dabei unterstreicht ihre Uniform, mit der »Sabine« als Teil des Palast-Teams gekennzeichnet wird, die dienende Funktion. Schauspielerisch laienhaft und zugleich servicefreundlich, diese weibliche Rollenfestlegung stärkt die männliche Position des Moderators. Er kann sich wie ein kleiner Star durch den Palast bewegen.
»Wahlkampf« im Jugendtreff
»Das sind ja wirklich prächtige Aussichten!« Mit dieser Bemerkung bleibt Siegfried Fiedler im Anmach-Schema, als ihn zwei etwa 14-jährige Mädchen plötzlich aus einem gemütlichen Foyer-Sessel reißen und damit von Sabine wegholen. Ziel der drei ist der Jugendtreff, die Palast-Diskothek. Gerade soll die Veranstaltung »Klingelzeichen« starten, ein Live-Format zum Tanzen – weder im Fernsehen noch im Radio übertragen. Doch wartet dort keine weitere Eskapade auf ihn, sondern der »heiße Wahlkampf« des Herbstes 1976. »Siggi« wird an einen gut besetzten Tisch mit gefüllten Brause-Gläsern geführt. Zu Gast ist die Vorsitzende der Pionierorganisation »Ernst Thälmann«, Helga Labs. Sie sitzt steif im FDJ-Hemd zwischen Kindern, denn »die Volkswahlen stehen ins Haus« und »Helga ist vom Zentralrat der FDJ als Kandidatin für die Volkskammer vorgeschlagen worden«. So gibt es der am Tisch anwesende Moderator von »Klingelzeichen«, kein Geringerer als der später bekannte Showmaster Jürgen Karney, zum Besten. Die Abstimmung fand am Sonntag, dem 17. Oktober 1976 statt, drei Tage nach dem Ausstrahlungstermin von »Was Siggi im Palast entdeckt«.
Es schien höchste Zeit, auch Kinder und Jugendliche an den Termin zu erinnern, obwohl sie noch gar nicht wahlberechtigt waren. Karney gibt dazu den Ton für die nächsten fünf langen Minuten vor: »Klingelzeichen« sei nicht nur dazu da, sich »die Glieder zu schütteln, bis es nicht mehr geht«; sondern bei der Disco sollten auch alle »ein klein bisschen mit dem Kopf dabei sein«. Er verweist so gleichermaßen auf die politische Funktion des Palastes wie den Charakter des Jugendtreffs als (von alternativen Kreisen gemiedene) Ost-Berliner Prestige-Diskothek.
Mit dem steif arrangierten Polit-Talk erreicht die Sendung ihren traurigen Höhepunkt. Die Kinder tragen ihre Fragen mit gesenkter Stimme vor und Helga Labs spult Phrasen ab: Als große Aufgaben für die Jugend sieht sie die »Drushba-Trasse« und die »MMM-Bewegung«. Für solcherart Initiativen – das FDJ-Projekt Erdgasleitung Sowjetunion-Europa und der Wettbewerb »Messe der Meister von Morgen« (MMM) – wird sie sich in der Volkskammer noch mehr einsetzen, versichert sie. Und auch die Jungen Pioniere könnten helfen, das Leben in »unserer Republik« noch schöner zu gestalten: wenn sie ihren »Pionier-Auftrag« gründlich lesen und erfüllen, das heißt mit anpacken. Es soll eben vorwärts gehen. Konkreter wird sie nicht, die fünf Minuten ziehen sich.
Immerhin bietet der politische Einschub Gelegenheit, drei Postkartenfotos vom nicht live besichtigten Volkskammersaal einzustreuen, wo »Helga« später tätig sein wird. Sie glaubt, dass sich an diesem schönen Ort noch bessere Beschlüsse fassen lassen, die allen zum Wohle gereichen. Dann setzt glücklicherweise Musik ein.
Filzstift-Zeichnen und Mama Mia
Mit dem Erfolgshit »Mama Mia« von ABBA startet »Klingelzeichen« in den angenehmen Teil. Im Jugend-Treff darf endlich getanzt werden. Die schwedische Band war in der DDR populär. Sie galt nicht als subversiv und konnte sich deshalb eines erhöhten medialen Interesses erfreuen: 1974 ein Auftritt bei der Prime Time-Fernsehshow »Ein Kessel Buntes«, diverse Amiga-Schallplatten und 1978 schließlich der DDR-Kinostart von »ABBA – der Film«. Diese gemäßigten westlichen Rhythmen passen zum Palast und in die blauhemdige Tanzrunde mit Helga Labs, die gleich von einem großgewachsenen Jungen aufgefordert wird. ABBA kann so als Mosaikstein des kulturellen Liberalisierungsprozesses unter Honecker genommen werden, der zwar westliche Kunst und Kultur ins Land ließ, aber bei provokativeren und vor allem systemkritischen Klängen haltmachte. Nur einen Monat nach Ausstrahlung von »Was Siggi im Palast entdeckt« folgte mit der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann eine der wohl einschneidensten Restriktionen im Kulturbereich.
Während der Jugend-Treff und ABBA eher die 14- bis 16-jährigen »Guckkasten«-Seher adressiert, kommen die Jüngeren schon zuvor auf ihre Kosten. Sie lernen ein Palast-Angebot kennen, das gleichfalls eine gewisse kulturelle Offenheit demonstriert. Diese bezieht sich allerdings weniger auf die dargebotenen Inhalte als die gewählte Form. Eingefangen wird eine Lesung im Theater im Palast (tip) mit dem Schriftsteller und Leiter des Kinderbuchverlages Berlin, Fred Rodrian. Begrüßt und begleitet von der schillernden tip-Intendantin Vera Oelschlegel (in jener Zeit verheiratet mit dem SED-Politbüromitglied Konrad Naumann) rezitiert Rodrian aus der damals noch unveröffentlichten Erzählung »Die kleine Robbe oder: Vom Segen des Brüllens«.
Bemerkenswert locker dürfen die Kinder an der Lesung teilhaben. Sie hocken vor und seitlich der improvisierten Bühne. Später lümmeln sie auf dem Palast-Boden herum. Zeichenpapier und Filzstifte liegen bereit. Das junge Publikum soll zum Gehörten malen. Zu ihren Motiven angeregt werden die Kinder auch von der Illustratorin Gertrud Zucker, die in der Tradition des Schnellzeichnens an mehreren Staffeleien ad hoc Skizzen zur vorgetragenen Geschichte anfertigt. Sie lädt die kleinen Gäste ein, auf großer Leinwand mitzumalen.
Eine solche Dramaturgie lässt an offene Theaterformen denken, die sich in der DDR ab den 1970er Jahren langsam Bahn brachen. Probebühnen-Aufführungen großer Häuser und erste Off-Theater folgten. Die Distanz zwischen Podium und Publikum verringerte sich, improvisatorische Elemente kamen hinzu. Das tip besaß keine herkömmliche Theatertechnik, keine eigentliche Bühne. Von Vera Oelschlegel befördert nutzte es modulare räumliche Arrangements und schuf Raum für Experimente, trotz des Vorzeigestatus und eines deshalb erhöhten politischen Druckes. Die DDR-Erstaufführung des Heiner Müller-Stückes »Quartett« im April 1989 war der Schlussakzent dieses in sich widersprüchlichen Kunst-Wollens in einem totalitären Staat.
Von Kunst-Wollen kann bei »Was Siggi im Palast entdeckt« jedoch keine Rede sein, eher von Berichterstattung mit Kalkül. Interessant, schmackhaft und schön wird die Erlebniswelt eines Ausnahme-Ortes in der DDR zur Schau gestellt, mit der sich abgegriffene politische Inhalte ansprechender verbreiten lassen.
Filmografische Angaben:
»Guckkasten für kleine Leute: Was Siggi im Palast entdeckt«, Fernsehen der DDR, Buch: Erika Haller, Regie: Gretl Sondinger, Kamera: Horst Jacob, Redaktion: Karin Hagemann, Erika Haller, Produktionsleitung: Jochen Schulz, Aufnahmeleitung: Evelin Felgentreu, Moderation: Siegfried Fiedler
Erstsendung: Do., 14.10.1976, 17:30 Uhr, 1. Programm, Farbe, Ton, um 29 min, Ursprungsformat: 16mm
Überlieferung: Deutsches Rundfunkarchiv, um 23 min (es fehlt die Sequenz mit der Besichtigung des Großen Saals)
Dr. Ralf Forster ist habilitierter Filmwissenschaftler und Ausstellungskurator. Er arbeitet als Filmtechnikhistoriker im Filmmuseum Potsdam.