»Sandmann, lieber Sandmann es ist noch nicht so weit«
»Sandmann, lieber Sandmann es ist noch nicht so weit…« – beim Lesen dieser Zeilen haben wohl Viele die Melodie der deutschen Kinderserie »Unser Sandmännchen« im Ohr.
Das Sandmännchen begleitet seit mittlerweile 65 Jahren jeden Abend viele Kinder vor dem Schlafengehen und sendet ihnen seinen Abendgruß. Im Jahr 1959 entstanden in Ost- und Westdeutschland jeweils eigene Versionen des Sandmännchens als Kindersendungen, nach 1990 wurden beide zu einem gemeinsamen Programm vereint. Wobei das Ost-Sandmännchen zur Kultfigur wurde und bis heute die Hauptrolle spielt. Das kleine weißbärtige Männchen nimmt die Zuschauer*innen mit auf Abenteuer in ferne Galaxien und fremde Kulturen und besucht Kinder auf der ganzen Welt. In den 1970er und 1980er Jahre war es auch mehrmals im Palast der Republik.
Eine Folge aus dem Jahr 1979 spielt im Foyer des Palastes. In einer Szene beobachtet das Sandmännchen Kinder, wie diese um die Gläserne Blume wie um einen Maibaum tanzen. Auf der Empore stehen Jungpioniere, die dem Treiben zusehen. Neben der Gläsernen Blume wurden auch andere Details nachgebildet. So fehlten weder das Staatswappen mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz an der Fassade noch der Blumenschmuck im Foyer.
In einer weiteren Folge aus dem Jahr 1982 wird das Sandmännchen von Kindern an einem der Palast typischen roten Sofas im Foyer vorbeigeführt. Im Hintergrund ist das Gemälde von Ronald Paris »Unser die Welt – trotz alledem« aus der Palast-Galerie zu sehen, das in der Gemäldegalerie des Palastes hing und im Film nachempfunden wurde.
Mit dem Sandmännchen als stets gutmütig auftretende Puppenfigur, aber auch mit der Musik und der wiederkehrenden Struktur der Geschichten verbinden nicht wenige Menschen angenehme Erinnerungen an ihre Kindheit. Den politischen Erziehungsauftrag setzte die allabendliche Kinderserie erfolgreich um. Sie vermittelte auf spielerische Weise Werte wie Freundlichkeit, Zusammenarbeit und Treue und lehrte schon den Kleinsten sozialistische Werte. »Unser Sandmännchen« zeigte in den 1970er und 1980er Jahren Szenen, in denen die kleine Sandmann-Figur die Nationale Volksarmee, die Grenztruppen der DDR besuchte oder Arbeiter beim Bau von Plattenbauten begrüßte. Nicht minder versuchte der kleine freundliche Knabe Kinder für die Pionierorganisation, Ernteeinsätze und den Leistungssport zu begeistern – und wurde so zum Botschafter der staatlichen Ideologie.
Die Episoden im Palast der Republik zeigen das Palast-Foyer von seiner schönsten Seite, werben für die vielen Einrichtungen wie die Milchbar und laden ein zu einem Besuch in ein offenes Haus voller Kultur, Gastronomie und fröhlichem Beisammensein. Dass das Ministerium für Staatssicherheit einen eigenen Bereich im Gebäude besaß und die Palastbesucher*innen überwachen konnte, indem zum Beispiel Telefonzellen abgehört wurden, wurde nicht thematisiert. So wurde auch die Volkskammer, die ein wesentlicher Bestandteil des Gebäudes war, in den Folgen nicht erwähnt. Als Imagefilme zeigten die Sandmännchen-Folgen den Palast in den prächtigsten Farben und vermittelten nebenbei mit Hilfe einer sympathischen Puppenfigur sozialistische Ideologie.
Trotzdem können sich Zuschauer*innen, egal welchen Alters, auch noch heute am Sandmännchen erfreuen, auch weil es den Produzenten gelang, die Serie ab den 1990er Jahren weiterhin zu modernisieren und dem Zeitgeist zu entsprechen.
Am 22. November 2024 feierte die Kultserie ihr 65. Jubiläum. Schon 40 Jahre zuvor, am 22. November 1984, wurde anlässlich des 25. Geburtstages des Sandmännchens eine Jubiläumssendung im DDR-Fernsehen ausgestrahlt.
Das Sandmännchen bleibt ein treuer Begleiter, der mit seinen Gute-Nacht-Geschichten nicht nur den Tag beschließt, sondern auch Erinnerungen an unbeschwerte Momente und vertraute Rituale weckt.
Nelly Evers ist seit September 2024 FSJ-lerin im Bereich »Geschichte des Ortes« der Stiftung Humboldt Forum. Geboren in Braunschweig hat sie im Sommer 2024 ihr Abitur gemacht und unterstützt im Rahmen ihres Freiwilligen Sozialen Jahres Kultur das GdO-Team.