Rekonstruktionen historischer Gebäude
Im März 2023 war ich als Podiumsgast ins Potsdamer Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum eingeladen. Der Titel der Diskussion: »Preußen-Renaissance oder Stadtreparatur? Historische Rekonstruktionen in Berlin und Potsdam als Herausforderung«.
Fünfzehn Jahre nach dem Abriss des Palasts der Republik in Berlin sieht es in Potsdam ähnlich aus: Gestritten wird, ob und wie die kriegszerstörte Garnisonkirche wiedererrichtet werden soll, deren Turmstumpf 1968 abgerissen worden war. Für die Wiedererrichtung müsste das 1969–71 erbaute Rechenzentrum weichen.
Ich durfte meine Sicht als Programmleiterin »Der Palast der Republik ist Gegenwart« einbringen. In der Diskussion um die beiden DDR-Bauten Palast und Rechenzentrum, so der Gedanke, werden Bruchstellen in der deutsch-deutschen Gesellschaft und unterschiedliche politische Visionen deutlich. Das ist für mich tatsächlich Arbeitsalltag, seitdem ich im Januar 2014 begann, für die Stiftung Humboldt Forum zu arbeiten. Nach meiner Erfahrung können Gebäude Anlass sein, um über gesellschaftliche Veränderungen und Erwartungen zu sprechen. Zwischen 2019 und 2022 wurde das neu gebaute Humboldt Forum eröffnet, das Kultur- und Museumsbau sein soll und wie ein altes Schloss aussieht. Viele, die den Palast der Republik noch in Erinnerung haben, sehen das Humboldt Forum und den Palast der Republik gleichsam als gegensätzliche Optionen, zwischen denen man sich zu entscheiden habe. Je nach Sichtweise wird dem einen oder dem anderen Bau zugesprochen, der gesellschaftspolitisch, städtebaulich und/oder ästhetisch »richtige« zu sein.
Das gut fünfzig Jahre alte Gebäude des heutigen Potsdamer Kunst- und Kreativhauses Rechenzentrum war einst der dreiteilige Verwaltungsbau eines »Datenverarbeitungszentrums«. Der Sozialtrakt wurde 2010, die Serverhalle 2019 abgerissen – um für die Rekonstruktion der Garnisonkirche Platz zu schaffen. Kreative und Kulturschaffende Potsdams nutzen den übrig gebliebenen Gebäudetrakt seit 2015 und schätzen das »Rechenzentrum« wegen günstiger Mieten, zentraler Lage und kreativen Miteinanders. Das 18-teilige Mosaik »Der Mensch bezwingt den Kosmos« des Künstlers Fritz Eisel von 1972 im Erdgeschoss steht unter Denkmalschutz.
Wenn man den Palast mit dem Rechenzentrum vergleicht, dann also Äpfel mit Birnen: zwei sehr unterschiedliche Bauten, Städte, Nutzungskonzepte und Zeiten. In beiden Fällen stehen Bauten der DDR in Konkurrenz zu »preußischen« Anmutungen und werden mit positiven oder negativen Attributen belegt. Kurz gesagt: Preußen versus DDR. In der Podiumsdiskussion ging es um die Frage, ob und wie Gebäude politische Systeme symbolisieren oder eher neutrale Hüllen sind, die sich unabhängig von ihrer Gestalt und Vergangenheit nutzen lassen – und beispielsweise durch kulturelle, soziale oder politische Nutzung unabhängig von ihrer Geschichte positiv auf Stadt und Gesellschaft wirken können.
Rekonstruktionen historischer Gebäude ließen sich dann als Versuche verstehen, spezifische politische Systeme der Vergangenheit auf- oder abzuwerten. Bedeutet der Abriss von DDR-Gebäuden für viele Menschen die Überwindung eines Unrechtsregimes, so symbolisiert er in den Augen manch anderer die Geringschätzung ostdeutscher Lebensentwürfe oder auch das Verdrängen einer traumatischen Erfahrung.
Als Mitarbeitende der Stiftung Humboldt Forum werde ich vielfach nach meiner Meinung zu diesem Thema gefragt und häufig für eine Befürworterin der Schlossrekonstruktion gehalten. Seit einigen Jahren erkenne ich immer mehr, dass meine Ablehnung von Rekonstruktionsprojekten mehr über meine Herkunft als über meine Urteilskraft aussagt. Ich vertrete die wohl typische Position einer westdeutsch, bildungsbürgerlich und »linksliberal« geprägten Kunsthistorikerin meiner Generation. Nach fast zehn Jahren Tätigkeit für die Stiftung Humboldt Forum weiß ich allerdings, dass Befürworterinnen von Rekonstruktionen heterogenere Gruppen sind, als ich früher annahm. Gerade jüngere Berlinerinnen und Berliner ohne familiären Bezug zur DDR finden den Bau einfach prachtvoll oder interessant. Beispielsweise schätzen viele instagramaffine Jugendliche und Hochzeitspärchen den Schlüterhof als Fotokulisse. Für manche älteren Menschen, die einen Großteil ihres Lebens in der DDR verbracht haben, symbolisiert das Schloss den Sieg der Demokratie über die SED-Diktatur.
Meine Erfahrungen der letzten Jahre haben mir gezeigt, dass das Humboldt Forum, das wie ein Schloss aussieht, bestimmte Erwartungen weckt, die positiver oder negativer Art sein können. Die Fassaden, die Kuppel und das Kreuz ebenso wie die kolonialen Kontexte vieler Ausstellungsstücke sowie das Wissen um den Palast-Abriss schaffen einen Erwartungshorizont, vor dem die heutigen kulturellen Angebote wahrgenommen werden. Ich empfinde es als Herausforderung, diese Spannungen auszuhalten und produktiv mit ihnen umzugehen. Wichtig ist mir zu zeigen, dass das Forum ein Produkt politischer Entscheidungen ist und es trotz seiner unstrittig »imperialen« Aufladung ein Ort sein kann und auch muss, an dem wir Vielfalt leben und gestalten.
Ich will es mit Bruno Flierl (1927-2023) halten, dessen architekturkritischen Schriften unsere Arbeit begleiten und die ich als Aufforderung verstehe zu fragen: Was soll Architektur leisten, um demokratischen Werten gerecht zu werden? Welche konkreten Aufgaben soll sie erfüllen und welche Gestalt braucht es dafür? Damit ist letztlich auch zu fragen: Wer soll auf welche Weise bei den Entscheidungsprozessen mitwirken, damit wir öffentliche Gebäude bauen, die gemeinschaftsstiftend wirken?
Für das Humboldt Forum kommen diese Fragen zu spät. An anderen Orten in Deutschland können und sollten wir sie stellen.
Judith Prokasky ist Teil des Programmteams »Der Palast der Republik ist Gegenwart«. Sie ist promovierte Kunsthistorikerin, Rheinländerin, seit über zwanzig Jahren als Kuratorin & Publizistin tätig, seit Anfang 2014 für die Stiftung Humboldt Forum, aktuell als Programmleiterin für »Der Palast der Republik ist Gegenwart«.