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Mattheuer – Minsk – Rechenzentrum

von Carolin Kaever 23.11.2022, 15 Min. Lesezeit

Geht mit uns auf die Reise. Was verbindet einen bekannten DDR-Künstler, die Hauptstadt von Belarus und ein Verwaltungsgebäude?

Ausstellungsmaterialien aus dem »MINSK« und zur Ausstellung »Gastmoderne«
© SHF / Carolin Kaever
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Die Antwort auf die gestellte Frage lautet: die Stadt Potsdam und einige neugierige Mitarbeiter*innen der Stiftung Humboldt Forum in Begleitung. Wir fuhren am 19. Oktober nach Potsdam, wo wir uns mit zwei lang bekannten und geschätzten Kolleginnen am neu eröffneten DAS MINSK trafen: Anja Tack, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZZF Potsdam (Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung) und Kai-Britt Albrecht, freiberufliche Historikerin.

DAS MINSK. Kunsthaus in Potsdam

DAS MINSK ist für uns aus mehreren Gründen interessant: Zum einen steht es für die geschichtliche Verbindung zwischen Belarus und der DDR, zum anderen wurde es in der DDR erbaut und seit seiner Schließung kämpften Potsdamer*innen für den Erhalt des Baus. Nun ist dies ein neuer Ort geworden, in dem Kunst der ehemaligen DDR im Dialog mit zeitgenössischen Positionen gezeigt wird.

Für die drei Masten vor dem MINSK hat die belarussische Künstlerin Rufina Bazlova (*1990) Flaggen gestaltet, die auf ihre Kreuzstichstickereien zurückgehen. Bazlova bezieht sich in ihrer Intervention Such a Minsk inhaltlich auf die aktuelle politische Lage in Belarus. Die Zusammenarbeit mit Bazlova knüpft an die ursprüngliche Gestaltung des alten Restaurants »Minsk« an, welche von belarussische Künstler*innen entworfen und umgesetzt wurde.

Fahnen vor dem Museum DAS MINSK in Potsdam
© SHF / Carolin Kaever

Ganz ohne Führung betrachteten wir neugierig das Gebäude und die Eröffnungsausstellungen, die Werke von zwei Künstlern zeigen: Wolfgang Mattheuer (1927–2004) und Stan Douglas (*1960). Insbesondere wollten wir die Arbeiten Wolfgang Mattheuers sehen, der zu den 16 Künstlern zählt, welche die Gemälde für die Galerie im Palast der Republik unter dem Thema „Dürfen Kommunisten träumen“ schufen. Sein Gemälde »Guten Tag« hing einst im 3. Geschoss an der Nordwand und ist jetzt im 2. OG in der Treppenhalle des Humboldt Forums zu sehen.

Rund 30 Werke von Mattheuer sind noch bis 15. Januar 2023 zu erleben. Viele wiederkehrende Motive wie Zäune, Gärten, Blumen und der Ikarus sowie dunkle Farbkompositionen von nächtlichen Himmeln sind mir im Gedächtnis geblieben. Mattheuer als Schriftsteller zu erleben, war neu für mich – sein »Ein deutscher Lebenslauf« von 1989 erzählt in wenigen Worten eindrucksvoll von einem reiselustigen Menschen, der nicht reisen konnte und später nicht wollte. Die Ausstellung hat fast ganz auf Texte verzichtet. Mattheuers Kunst provozierte bei mir viele spannende Anregungen und Fragen. Die Zäune lese ich vor allem als Metapher für die nahezu komplett geschlossenen Grenzen der DDR. Ich frage mich, ob er dieses Bild bewusst mit dem Kleingärtensetting kombiniert, das in der DDR für einen gewissen Freiraum stand? Kleingartenanlagen waren Orte, die abseits der Parteiorganisationen und Organisationen der Arbeitswelt wenig politisierten.

Die Fotografien des Filmsets »Der Sandmann« von Stan Douglas von 1995 als künstlerischer Umgang mit dem Setting Schrebergarten haben mir gefallen. Die Sichtbarkeit des gebauten Schrebergärtensettings verbinde ich mit Begriffen wie »gefälscht« und »echt«. Die Kamera symbolisiert für mich einen Eingriff in den Privatraum Schrebergarten – eine beobachtende Kamera, die auch überwachen kann.

Die Kombination der beiden Künstler, die sich unter anderem mit dem Topos Garten und seinen Bedeutungen befassen, fand ich gelungen.

Im DAS MINSK selbst haben wir außer einem QR-Code zur Homepage, keine Informationen zur Geschichte des Gebäudes gefunden. Auf besagter Seite findet man unter anderem einen Text und ein Videointerview mit der Gründungsdirektorin Paola Malavassi, welche über die Umgestaltungsvorgänge spricht: Das Haus – DAS MINSK

Fotografie aus der Ausstellung »Gastmoderne« im Rechenzentrum Potsdam: Das Terrassenrestaurant Minsk vor dem Verfall, der nach der Schließung 2004 begann
Fotografie aus der Ausstellung »Gastmoderne« im Rechenzentrum Potsdam: Das Minsk vor der Bauphase in den 2010er Jahren
Außenansicht am 19.10.2022 jetzt mit dem Namen: DAS MINSK. Kunsthaus in Potsdam
© SHF / Kai-Britt Albrecht

Das Rechenzentrum – Ausstellung Gastmoderne. Fünf Jahrzehnte Austausch zum »Minsk« und »Potsdam«

Nach circa 1,5 Stunden zogen wir weiter zum Rechenzentrum und der Ausstellung »Gastmoderne«. Fünf Jahrzehnte Austausch zum »Minsk« und zum »Potsdam«, die bis 27. Oktober 2022 in den Ausstellungsräumen im Erdgeschoss zu sehen war. Der besondere Charme des Rechenzentrums hat mich sofort begeistert. Besonders beeindruckend fand ich das Mosaik an der Außenwand des Gebäudes »Der Mensch bezwingt den Kosmos« von Fritz Eisel (1929–2010) von 1972.

Im Gespräch mit der Projektleiterin Anja Engel
© SHF / Kai-Britt Albrecht
Mosaik an der Außenwand des Gebäudes »Der Mensch bezwingt den Kosmos« von Fritz Eisel
© SHF / Carolin Kaever

Vermittelt durch Anja Tack bekamen wir eine sehr informative Führung durch Anja Engel, Projektleitung der Ausstellung und Kultur- und Hausmanagerin des Rechenzentrums. Die Kuratorin der Ausstellung Oxana Gourinovitch war leider verhindert.

In der Ausstellung »Gastmoderne« im Rechenzentrum Potsdam
© SHF / Kai-Britt Albrecht
Installation in der Ausstellung »Gastmoderne«
© SHF / Kai-Britt Albrecht

Auf kleinem Raum wurde die Historie der zwei Restaurants »Minsk« und »Potsdam« und die damit verbundenen belarussisch-deutschen Beziehungen beleuchtet, künstlerische Positionen von Rozalina Busel und Rodney LaTourelle und Egon Wrobel einbezogen und der Kampf um den Erhalt des »Minsk» thematisiert. Die Gestaltung auf Tischdecken, Menükarten und Bierdeckeln griff auf wunderbar lockere Weise das gastronomische Thema auf.

Blick vom Dach des Rechenzentrums
© SHF / Kai-Britt Albrecht
Dach des Rechenzentrums mit Schriftzug »GEGEND« von Annette Paul
© SHF / Kai-Britt Albrecht

Anja Engel nahm uns am Ende noch mit auf das Dach des Rechenzentrums mit einem tollen Blick über die Stadt und berichtete uns über die Sorgen des Hauses, deren zahlreiche Mieter (von Künstler*innen-Ateliers bis Musikschulen) nur noch bis Dezember 2023 einen gültigen Mietvertrag haben – auch hier ein umkämpfter Ort im Zentrum einer Stadt.

Carolin Kaever gehört zum Programmteam »Der Palast der Republik ist Gegenwart«. Geboren und aufgewachsen im Nordosten Berlins studierte sie Amerikanistik, Hispanistik sowie Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Leipzig und arbeitete danach vorwiegend an Theatern in Berlin und Baden-Württemberg. Seit September 2021 ist sie Programmreferentin beim Projekt »Palast der Republik« der Stiftung Humboldt Forum.

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