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»Die DDR hat’s nie gegeben«

von Sören Marotz 07.10.2024, 7 Min. Lesezeit

Gedanken zum Ende der DDR

Das Graffito »Die DDR hat’s nie gegeben«, 2008
© Sören Marotz
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Der Palast im DDR Museum: 30 Jahre nach seiner Schließung im September 1990 widmete das Berliner DDR Museum dem Palast der Republik eine Sonderausstellung. Kuratiert haben die Präsentation der wissenschaftliche Leiter des Museums, Dr. Stefan Wolle, sowie Sören Marotz, der seit 2016 für die Ausstellung des Museums verantwortlich ist. Der gebürtige Ost-Berliner fotografierte 2008 das Graffito »Die DDR hat`s nie gegeben«, das am Fundament des abgerissenen Palastes aufgetaucht war und thematisiert dieses in der Dauerausstellung des Museums. Was Sören Marotz mit diesem vielzitierten Spruch verbindet, schildert er im folgenden Beitrag.

Installation »Der Palast der Republik« in der Dauerausstellung im DDR Museum, 2024
© DDR Museum / Sören Marotz

Kaum ein anderer Ort in Berlin war und ist derart historisch und ideologisch aufgeladen wie das Areal rund um den Palast der Republik. Davon zeugt auch das Graffito »Die DDR hat’s nie gegeben«, welches im Jahr 2008 an einer Ufermauer neben den Fundamentresten des frisch abgerissenen Palastes auftauchte.

Interessant ist die Verbreitung des Motivs bzw. des Spruchs. So zeichnete die in Schwerin geborene Künstlerin Anne Arndt 2021 in einer Ausstellung in Köln Themen wie Grenzen, Flucht, Heimats- und Identitätsverlust auch mit dem Spruch »Die DDR hat’s nie gegeben« als Leuchtschrift nach. Im DDR Museum in Berlin bildet seit 2023 das Foto zusammen mit Geschirr- und Glasbruch aus dem Palast der Republik eine Projektionsfläche, die die Debatte über den Umgang mit sozialistischer Vergangenheit am Beispiel des Palastes widerspiegelt. Schließlich blieb von ihm – wie von der gesamten DDR – nur ein Scherbenhaufen. An den gescheiterten Staat wird man sich aber ebenso erinnern wie an den gesellschaftsutopischen Anspruch, der im »Palast des Volkes« seinen Ausdruck fand. Sicher ganz ungewollt machte das tausendfach fotografierte Graffito später auch den Nachbau des Hohenzollern-Schlosses populärer – ein Bärendienst für die Bärenstadt Berlin.

Der »Palazzo Prozzo«, wie er von den Berliner*innen halb liebevoll, halb ironisch genannt wurde, war mit seinen etwa 100 Veranstaltungen im Monat sowie seinen 13 Restaurants und Bars ein echter Anlaufpunkt für Menschen aus allen Teilen der DDR. Hier wurde auf engem Raum die Utopie vom »Staat der kleinen Leute« Wirklichkeit. »Die DDR hat’s nie gegeben« unterstellte nun, die DDR hätte durch den Abriss des Palastes aus der kollektiven Erinnerung getilgt werden sollen. Viele Menschen empfanden das Ende der DDR als Scheitern ihrer Utopie oder sahen ihre bisherige Lebensleistung infrage gestellt, für andere war es der Aufbruch zu neuen Horizonten. Von daher ist der vielfach umstrittene Begriff »Wende« im Kontext der Ereignisse, die dem Herbst 1989 mit der »Friedlichen Revolution« folgten, nachvollziehbar. Für die meisten war es eine Wende in ihrem persönlichen Leben, und der Palast stand stellvertretend für die schönen Erinnerungen an den »Arbeiter-und-Bauern-Staat«. Und wer möchte sich nicht zuerst an die schönen Dinge im Leben erinnern, zumal viele der Veränderungen nach der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990 große Teile der Bevölkerung betrafen und als negativ empfunden wurden?

Die heutigen Debatten um die Probleme Ostdeutschlands spiegeln sich zum Beispiel in den jeweils unterschiedlich ausgerichteten Büchern von Dirk Oschmann und Katja Hoyer wider. Sie zeigen, dass viele Menschen im Osten ihre Vergangenheit völlig anders als die Mehrheit der Westdeutschen interpretieren. Der Verlust an gesellschaftlicher Utopie, egal wie man persönlich zum Sozialismus gestanden hat, führt bei vielen Ostdeutschen zu einer Sehnsucht nach einem autoritären, starken Staat. Der Mangel an zivilgesellschaftlichen und bürgerlichen Strukturen kommt hinzu. Kirchen- oder Parteienzugehörigkeit sind auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in Westdeutschland. Die Religion bildet keinen Sozialismus-Ersatz, anders als zum Beispiel im heutigen Russland. Ein weiterer Punkt ist der Verlust an Eigenstaatlichkeit in Ostdeutschland. Obwohl die Idee eines »zweiten deutschen Staates« spätestens mit den Wahlen am 18. März 1990 und dem Sieg der »Allianz für Deutschland« beerdigt war, ist die Sehnsucht nach einem eigenen ostdeutschen Selbstverständnis so groß wie nie zuvor. So stark die DNA der alten Bundesrepublik auf der West-Bindung, dem Gewinn des Fußball-Weltmeistertitels 1954 und der sozialen Marktwirtschaft basierte, so wenig fand sich eine gemeinsame Erzählung, die Ost- und Westdeutschland nach 1990 zusammengefügt hätte. Die großen Narrative der alten Bundesrepublik waren und sind nicht die des Ostens, sodass sich bei sozialwissenschaftlichen Fragestellungen Ostdeutschland in der Kartendarstellung Deutschlands immer häufiger als Gegenpart zu Westdeutschland und damit optisch auch als die alte DDR abbildet.

In der Summe zeigt sich, dass die Erklärmuster einer ganzen Epoche der DDR-Aufarbeitung plötzlich null und nichtig zu sein scheinen. Ein auf diesem Gebiet etablierter Historiker wie Ilko-Sascha Kowalczuk stellt zu Recht fest, dass zwar nichts neu ist, aber der Ton ja bekanntlich die Musik macht. Und der ist in seiner Unversöhnlichkeit tatsächlich neu. An dieser Stelle auf die spezifischen Probleme Ostdeutschlands nach 1990 einzugehen, würde hier den Rahmen sprengen. Der Verlust an gesellschaftlicher Utopie hat aber in den Lebenswelten vieler Ostdeutscher eine Leerstelle hinterlassen. Außerdem entfallen Gesellschaftsordnungen und die damit verbundenen Utopien in Zeiten von globalen Krisen zunehmend als sinnstiftende Klammer.

Zum Nach- und Weiterlesen:

Katja Hoyer, Diesseits der Mauer. Eine neue Geschichte der DDR 1949-1990, Hamburg 2023.

Ilko-Sascha Kowalczuk, Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands seit 1989, München 2024.

Steffen Mau, Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt, Berlin 2024.

Christina Morina, Tausend Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er Jahren, München 2023.

Dirk Oschmann, Der Osten: eine westdeutsche Erfindung, Berlin 2023.

Sören Marotz (*1973 in Ost-Berlin) ist seit 2016 Ausstellungsleiter am DDR Museum und hat an der TU Berlin sowie an der Humboldt-Universität Wissenschafts- und Technikgeschichte, Neuere Geschichte und Geographie studiert. Er hat Ausstellungsprojekte im weiten Spektrum der Zeitgeschichte kuratiert und war am Projekt »Wahrnehmung und Bewertung der Deutschen Einheit« des »Innovationsverbundes Ostdeutschlandforschung« beteiligt. Neueste Veröffentlichung: Sören Marotz und Stefan Wolle: DDR Führer. Reise in einen vergangenen Staat, Berlin 2024.

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