»DDR global«
Wandlitz… War da was? Goebbels, DDR-Bonzen? Ein See? Wir – Kolleginnen und Kollegen der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss – begeben uns einige Kilometer nordöstlich von Berlin auf die Suche nach Spuren deutscher Geschichte an den Bogensee.
Geleitet werden wir von dem Historiker Jürgen Danyel vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF). Das weitläufige Areal mit wuchernder Natur war tatsächlich bis 1990 ein Campus der Jugendorganisation der DDR (FDJ) mit Lehr-, Kultur- und Wohngebäuden.
Wo einst NS-Reichspropagandaminister Joseph Goebbels die Prominenz auf seinen Landsitz eingeladen und 1945 die Rote Armee ein Lazarett eingerichtet hatte, begründete die FDJ bereits 1946 – kein Jahr nach Kriegsende – eine Jugendleiterschule. Hier sollten die künftigen Kader der Freien Deutschen Jugend (FDJ) ausgebildet werden, um als politische Funktionäre den Sozialismus aufzubauen. Kurz nach der Gründung der DDR folgte 1950 die offizielle Namensgebung »Wilhelm Pieck«, nach dem damaligen Präsidenten der DDR; ab 1951 entstanden auf dem Gelände umfangreiche Neubauten, die zum Großteil noch heute bestehen.
Die Jugendhochschule wurde zur »propagandistischen Waffe« der DDR mit Fern- und Langzeitwirkung im Kalten Krieg. Seit 1958 sprach die Schule sozialistische Jugendverbände in aller Welt an, um ihre internationalen Netzwerke auszubauen, und junge Menschen aus Ost-, Mittel- und Südosteuropa, Afrika, Lateinamerika und Asien kamen zum Studium an den Bogensee; sogar Studierende aus »dem Westen«, getarnt durch Decknamen, die Genossinnen und Genossen in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus suchten. Die FDJ trug die Kosten für Reise, Ausbildung und Aufenthalt. Der einjährige Lehrgang vermittelte die Lehren des Marxismus-Leninismus, die Geschichte der Arbeiterbewegung und bildete in praktischer politischer Arbeit aus. Auch Exkursionen und Arbeitseinsätze waren Bestandteile des Studiums. Unterrichtet wurden die ausländischen und deutschen Studierenden getrennt voneinander. Zu Beginn des Schuljahres und zu besonderen Veranstaltungen kamen alle Studierenden zusammen. Die Dolmetscheranlage erleichterte seit Mitte der 1980er Jahre den Austausch. Technisch auf höchstem Niveau war die Anlage ein Aushängeschild der Schule und repräsentierte deren internationalen Anspruch.
Die Studierenden sollten den »Aufbau des Sozialismus« in der DDR als vorbildhaft kennenlernen und mit dieser Blaupause im Kopf in die Heimatländer zurückkehren. Allerdings prallten in der Realität verschiedene Visionen von Sozialismus aufeinander. Die Dozent*innen der Schule verfügten über Kenntnisse der Theorie und des sozialistischen Alltags in der DDR, manche Studierende hingegen suchten nach revolutionären Lösungen, um die Systeme in ihren Heimatländern zu verändern. Das führte immer wieder zu Spannungen und Enttäuschungen, wie der Film »Comrade, where are you today?« der finnischen Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen thematisiert. In den 1980er Jahren vermehrten sich die Konflikte, als etliche Jugendorganisationen, die ihre Mitglieder nach Bogensee entsandten, reformkommunistische Ansätze im Unterricht einforderten, was die Schulleitung ablehnte. Der Praxistest »Weltrevolution« blieb in seinen Ansätzen stecken.
Die Hochschule sollte »Internationalismus« und »Weltoffenheit« vertreten. Wie das auszusehen hatte, war genau vorgegeben. So waren Beziehungen zwischen Studierenden aus der DDR und ihren internationalen Mitstudierenden nur in vorgegebenen Rahmen wie organisierten Patenschaften erwünscht. Enge Freundschaften oder gar Liebesbeziehungen widersprachen dem offiziellen Kurs.
Auch der Palast der Republik diente der DDR-Obrigkeit dazu, internationale Beziehungspflege mit sogenannten Bruderländern in Nah und Fern zu inszenieren. Dazu wurde bislang kaum recherchiert und geschrieben. Die Stiftung Humboldt Forum hat die Wissenschaftlerin Constanze Fritzsch mit einer ersten Forschung zur Internationalität des Veranstaltungsprogramms im Palast beauftragt; sie wird ihre Ergebnisse in unserer Buchpublikation zum Palast der Republik vorstellen, die im Mai 2024 erscheint.
Judith Prokasky ist Teil des Programmteams »Der Palast der Republik ist Gegenwart«. Sie ist promovierte Kunsthistorikerin, Rheinländerin, seit über zwanzig Jahren als Kuratorin & Publizistin tätig, seit Anfang 2014 für die Stiftung Humboldt Forum, aktuell als Programmleiterin für »Der Palast der Republik ist Gegenwart«.
Katja Gimpel ist Kulturwissenschaftlerin und Germanistin mit Schwerpunkt Kulturgeschichte. Seit 2017 ist sie Mitarbeiterin im Bereich »Geschichte des Ortes« der Stiftung Humboldt Forum. Sie wuchs in Dresden auf, studierte in Leipzig und lebt seit fast zehn Jahren in Berlin.

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