»Bringt den Palast zurück!«
Mit unserem »Palastkonsulat« wollten wir zum Dialog über den Palast der Republik anregen und baten unter der Überschrift »Bringt den Palast zurück!« um Geschichten und Erinnerungen.
Wir riefen dazu auf, Gegenstände aus dem Palast der Republik aus privatem Besitz vorbeizubringen und uns die Geschichte dieser Objekte zu erzählen. Ein in die Zeit zurückversetztes Büro diente uns als Schauplatz. Viele der Begegnungen im Konsulat und auch viele der Erzählungen der Besuchenden waren fragmentarisch. Dies spiegelt auch die oftmals nur noch bruchstückhaft vorhandenen Erinnerungen wider.
Die folgenden anekdotischen Notizen zeigen die Vielzahl der unterschiedlichen Perspektiven, die im Konsulat zueinanderfanden und belegen gleichzeitig die lückenhaften und fehleranfälligen Aspekte des Erinnerns.
Bringt den Palast zurück!
Sebastian aus unserer Seminargruppe möchte ein großes Plakat mit der Aufschrift »Bringt den Palast zurück!«
Etwas ketzerisch. Zunächst wird darüber stillschweigend hinweggegangen. Aber die ständige Wiederholung der Forderung führt dazu, dass klammheimlich das Plakat dann doch kommt.
Natürlich meinen wir das nur im Sinne unseres Projektes. Wir wollen, dass die Menschen Gegenstände vom Palast mitbringen und damit ein kleines Stück Erinnerung, das sie mit uns teilen können.
Das Plakat hängt hoch oben über dem Konsulat und findet Anklang:
negativen wie positiven.
Es werden Köpfe geschüttelt, es wird gelacht und genickt.
Reden wir zu früh wieder über den Palast oder ist die Diskussion zu spät? Keiner hält den Augenblick für passend.
»Warum denn jetzt wieder aufbauen?! Was weg ist, ist weg!«, sagt eine Frau. »Da brauch man da jetzt auch nicht wieder drüber reden.«
Verrückte Geschichte
Ein gut gekleidetes Paar kommt auf uns zu: »Verstehe ich nicht. Was soll das denn jetzt?«, fragt der Mann. Auch er fühlt sich wohl angesprochen von unserem Plakat. »Das wahre Verbrechen war, dass Ulbricht das Schloss gesprengt hat! Das war zu der Zeit auch noch in Benutzung! Das hätte man ganz klar wieder aufbauen können! Ich bin froh, dass das Schloss wieder steht! – Da wurde nur ein wenig Geschichte wieder geradegerückt! Wir haben auch für das Schloss gespendet! – Wir kommen aus West-Berlin – Wir waren nie im Palast. Nein.«
Begegnung und Zurückhaltung
Bei den Treffen im Konsulat werden die gemischten Emotionen der Gäste immer wieder deutlich. Die Frage »Haben Sie Erinnerungen an den Palast?« wird oft zögerlich beantwortet oder verneint. Die Geschichten fließen erst nach der Frage »Waren Sie denn einmal dort?«, »Ja da waren wir schon Mal.« Erst dann wird die anfängliche Zurückhaltung überwunden.
»Superfest«
»Schaut mal, das ist superfestes Glas«, sagt ein Besucher und hält ein Trinkglas in die Höhe.
Natürlich sind die Sachen aus dem Fundus nur geliehen und wir sollen gut drauf achtgeben.
»Das geht nicht kaputt«, sagt der Gast und schmettert das Glas im hohen Bogen auf den Schreibtisch.
Das Glas bleibt ganz. Der Tisch auch.
Ich sage zu Sebastian, dass wir das lieber für uns behalten. Etwas später erzählt er den beiden Mitarbeiterinnen vom Humboldt Forum, die uns in unserem Projekt begleiten, grinsend von der Geschichte. Der Ausdruck von Angst huscht über die Gesichter. Aber es ist ja superfestes Glas.
Friendship!
Im Museumshop kann man ein kleines Stückchen Glasfassade vom Palast kaufen. Einige Euro für ein 1×1 Zentimeter großes Stück. Es erinnert an die kleinen »Mauerstücke«, die man als Souvenirs in Touristenshops erwerben kann. In dem Film »Friendship« nutzen zwei deutsche Freunde, die kurz nach dem Mauerfall durch die USA reisen, genau solche »Mauerstücke«, um die Reparatur ihres Autos zu finanzieren. Sie bemalen Betonstücke und verkaufen sie dann als originale Reste der Berliner Mauer.
Vielleicht könnte man sie aus dem Erlös wieder aufbauen. Oder wir sammeln die Stücke in Zukunft wieder zusammen, wie ein riesiges Mosaik und setzen die Fassade des Palastes wieder zusammen. Als großes Einheitsprojekt.
Eine Begegnungsstätte
Im Gegensatz zum Palast ist das Humboldt Forum offensichtlich. So ist es auch einsichtig, dass viele Besuchende sich mit uns über dieses unterhalten möchten, schließlich steht unser Konsulat im großen Foyer.
»Ich erkläre Ihnen mal, was an diesem Haus falsch läuft!«, ruft ein Besucher der Mitarbeiterin vom Humboldt Forum ins Gesicht. Ich bemerke, wie ihr Blick sich entfernt und auf einen weit entfernten Punkt konzentriert. Er hängt jetzt irgendwo auf halber Höhe des Foyers.
Sie erwidert nichts.
Sichtlich irritiert, aber sich davon nicht abhalten lassend, erklärt er ihr, was alles in diesem Haus falsch läuft: »Die Fenster im Humboldt Forum sind ganz falsch gebaut. Viel zu teuer! Das hätte man ganz anders machen müssen.«
Später fragt mich die Kuratorin, ob heute wohl noch ein weiterer alter weißer Mann auf sie zukommen wird, um ihr zu erklären, was alles falsch läuft und wie sie ihren Job besser machen sollte.
Ein Berufsproblem oder das, eine Frau zu sein?
Spaltungsprobleme
Vielleicht sollten wir uns mehr auf die gemeinsamen Probleme als auf die ewige Spaltungsdebatte zwischen Ost und West konzentrieren. Der Historiker Andreas Kötzing schreibt: »Viele Probleme, die mit »dem Osten« verknüpft werden, weil sie dort häufig auftreten, sind keine ausschließlichen Probleme des Ostens und müssen in ihrer Komplexität wahrgenommen werden.«(1)
Unsichtbare Türen
Eine Frau unterhält sich sehr lange mit uns. Sitzt am Schreibtisch im Konsulat. Sie erzählt, wie sie mit ihrer Schwester im Palast war. Dass sie eine Tür zum Balkon aufgemacht haben, um zu schauen, ob man nach draußen kommt. Ein Stasimitarbeiter fing sie direkt ab. Er dachte womöglich, sie wollen ein Plakat am Balkon anbringen. Er brachte die beiden in die Hinterräume des Palastes. Die Frau erzählt uns von einer Tür, die gar nicht sichtbar war, wenn man nicht wusste, dass sie da war. Sie zeigt uns, wo diese Tür ungefähr war. Verortet sie auch hier an diesem Ort, der nicht mehr existiert.
Sie und ihre Schwester wurden verhört, ewig lang. Zwei vierzehnjährige Mädchen. Sie haben Angst, wollen ihre Familie beschützen. Sie haben Angst, etwas Falsches zu sagen. Erst nach einiger Zeit sagen sie, dass ihr Vater international für die DDR arbeitet. Daraufhin dürfen sie gehen. Die Frau hat Tränen in den Augen, während sie diese Erinnerung mit uns teilt. Die DDR ist auf einmal wieder ganz nah.
Mehr als zwei Gesichter
Ein Paar – nicht damals aber heute – kommt fasziniert von unserem Büro ins Konsulat. Der Mann erinnert sich mit einem Lächeln im Gesicht. Hält den daliegenden Radiergummi hoch. Er erzählt uns, dass er in der Jugendhandballnationalmannschaft gespielt hat und sie damals nach Berlin eingeladen waren. Sie haben im Palast eine Auszeichnung bekommen.
Die Frau sieht sich im Büro um und ihre Augen wandern über die Möbel und Dekoration. Ihr schaudert‘s. »Ich mag es gar nicht. Ich find‘s ganz unangenehm. Es erinnert an die Büros an der Grenze, wenn ich zu Besuch im Osten war. Diese ewigen Machtspiele und Schikanen. Wir wurden einmal gefragt, ob wir nicht spitzeln wollen. Als Wessis.«
Der Mokkalöffel
»Wir waren zu dritt zu Besuch in Berlin. Meine beiden Freundinnen und ich. Wir hatten uns schick gemacht, um in den Palast zu gehen. Wir wollten erst etwas essen und dann tanzen. Es war ein aufregender Abend. Als Mutprobe wollten wir ein Andenken mitnehmen. Ist ja Volkseigentum. Das heißt eigentlich nehmen wir uns nur das, was uns eh gehört. Aber ganz sicher mit der Sache waren wir uns nicht. Also wurde entschieden, das kleinste und unauffälligste Utensil, was beweglich war, in die Tasche wandern zu lassen. Als Andenken und Mutprobe. Der Mokkalöffel ist heute noch bei mir zuhause mit dem PdR-Monogramm.«
Die Wahrnehmung vieler, dass der Palast und sein Innenleben Volkseigentum war, zeigt sich daran, dass unglaublich viel gestohlen wurde. Gefühlt jede zweite Person berichtet uns, ein kleines Andenken mitgenommen zu haben – to take away. Diese Einstellung führt auch zu der Entrüstung über die Preise für die Ausstellung über den Palast der Republik hier im Humboldt Forum. »Da nehmen sie uns die Sachen weg und lassen uns 12 Euro zahlen, um unsere eigenen Sachen anzuschauen. Das ist der Kapitalismus«, hört man Stimmen sagen.
Die ältere Frau und die Mechanische Arena
Eigentlich ist die Mechanische Arena nur ein verkomplizierter Stuhlkreis. Eine Reihe von Bänken, die kreisförmig angeordnet sind. In der Mitte ein Podest. Allerdings alles mechanisch und für verschiedenste Funktionsweisen umbaubar. Ein Bankkreis als Lego-Set. Auf dem Podest steht in einen Umhang gehüllt unser kleines kafkaeskes Büro.
Eine ältere Frau nähert sich in kleinen Kreisen der Arena, Blick gesenkt. Sie möchte offensichtlich nicht angesprochen werden und hat kein Bedürfnis, ihre Erinnerungen an den Palast zu teilen.
Nach einer kleinen Weile ist sie nah genug an mir dran, um mich doch ansprechen zu können: »Verzeihen Sie, dürfte ich mich dort hinsetzen?«
Die Mechanische Arena ist frei zugänglich und viele Leute setzen sich in die Bankreihen: Schüler, die sich von einer anstrengenden Führung erholen, Teenager, deren Beine nach langem Stehen nachgeben, Familien, die ihre Stullen auspacken, um sich zu stärken, bevor sie einen weiteren Teil des Schlosses, pardon des Forums, pardon des Palastes, aufsuchen.
»Aber natürlich, setzen Sie sich!«, antworte ich ihr.
Sie bedankt sich und fügt in Klosterschülerin-Manier hinzu »Ich werde dabei auch an den Palast denken!«
Zum Schluss
Erinnerungen, ob persönliche oder kollektive, sind wesentlich für unsere Identität. Sie tragen dazu bei, wer wir sind und wie wir uns in der Welt verorten. Doch, als Generation, die erst nach der Wende geboren wurde, wie erinnern wir Dinge, die wir selbst nicht erlebt haben?
Welche Anekdote, welche erzählte Erinnerung fehlt Euch noch?
Bitte erzählt sie auch noch!
Debora Kleiner ist 1994 geboren und in Berlin Köpenick aufgewachsen. Sie ist nach der Wende geboren und bezeichnet sich selbst als ostsozialisiert. Sie studierte im Bachelor Kunstgeschichte und Germanistik in Heidelberg und ist gerade dabei, ihr Masterstudium der deutschen Literatur an der Humboldt-Universität in Berlin fertigzustellen. Sie beschäftigte sich bereits mit dem Palast der Republik sowohl aus kunsthistorischer als auch aus literarischer Sicht.
(1) Andreas Kötzing: Vom »Wir« zum »Ich«. Plädoyer für ein Ende pauschaler Ostdeutschland-Debatten, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Fokus Ostdeutschland, August 2024. | www.bpb.de (nach oben ↑)