19. September 1990
Für die Angestellten war dieser Tag ein schmerzhafter Einschnitt: »Als wir dann zum Dienst kamen«, berichtet Carsten Schild, Mitarbeiter aus der Weinstube, später, hieß es schlicht: »Also ihr braucht euch nicht groß umzuziehen, wir machen nicht auf. (…) Die Leute standen an der Tür und wollten rein. (…) manche haben es eben noch nicht gehört und die standen dann da um 16:30 Uhr, wollten rein. (…) Da habe ich eine Kerze genommen und habe die vorne ans Fenster gestellt: Das war wirklich emotional.«(1)
Gerüchte hatte es von Beginn an gegeben. Um die Fertigstellung des Palastes der Republik pünktlich zum 9. Parteitag der SED im Mai 1976 und gleichzeitig den Brandschutz auf höchstem Niveau sicherzustellen, waren kreative Maßnahmen notwendig. Eine aufwendige Verkleidung des gigantischen Stahlskeletts mit Asbestplatten hätte die Baumaßnahme gravierend verzögert. Daher griff man für den Palast auf das international bewährte, in der DDR jedoch aus guten gesundheitlichen Gründen seit 1969 verbotene Verfahren des – im Gegensatz zu Asbestplatten nicht festgebundenen – Spritzasbests zurück. Eine Sondergenehmigung wurde von höchster Stelle erteilt.
Bis 1990 blieben alle Gerüchte über die kontaminierte Umgebung hinter vorgehaltener Hand. Nun aber wollten die Angestellten Klarheit und initiierten eine Messung der Asbestwerte im Haus. Das Ergebnis bestätigte sämtliche Gerüchte – und hatte Konsequenzen. Die gemessene Belastung mit Asbeststaub in den öffentlichen Räumen war so hoch, dass das Gutachten der Firma ATD Tepasse der Bezirkshygieneinspektion eine sofortige Schließung des Palastes der Republik empfahl.
Sicher auch aufgrund der allgemeinen Verunsicherung der Zeit wies der DDR-Ministerrat daraufhin die komplette und sofortige Schließung zum 19. September 1990 an. Wohlgemerkt: Es war noch die letzte DDR-Regierung, die den Palast der Republik schließen ließ und auch die getroffenen Maßnahmen entsprachen den geltenden Arbeitsschutzstandards.
Eine knappe Notiz im Eingangsbereich informierte am 19. September die völlig überraschten Mitarbeiter*innen und Gäste. Nicht nur sämtliche 1.800 Angestellte standen am Morgen buchstäblich vor verschlossenen Türen, auch die ja noch immer hier tagende Volkskammer musste sich eine neue Stätte suchen.
Es folgten sozial flankierte Massenentlassungen, von den 1.800 Mitarbeiter*innen 1989 waren 1990 noch 60 beschäftigt, vorwiegend mit der Abwicklung.
Carsten Schild machte anschließend seine Karriere als Manager in der Spitzengastronomie der Schweiz, Großbritanniens und den USA, um seinen beruflichen Werdegang schließlich im Ritz-Carlton am Potsdamer Platz, wieder in Berlin, zu beenden. Die Kontakte zu seinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen aber hat er die gesamte Zeit über gepflegt. Sie haben die Zeiten überdauert.
Reinhard Alings ist Teil des Programmteams »Der Palast der Republik ist Gegenwart«. Er ist Kurator der gleichnamigen Ausstellung, die ab Mai 2024 im Humboldt Forum zu sehen sein wird.
(1) Aus dem Audiointerview von Ralf Pasch mit Carsten Schild am 30.5.2023, bearbeitet von Reinhard Alings. (nach oben ↑)
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….Sie haben mich sehr gut verbindlich wiedergegeben !
Gastronomisch und menschlich hat das Palastleben bei den Mitarbeitern viel für die Zukunft beigetragen.
Auch in Erinnerung an denen Gastronomen die leider nicht mehr unter uns sind …wurde gedacht .
Meine Kellerkinder des PdRs waren alle sehr besinnlich heute , gerade heute !! ( 19.09.)Danke Frau Schnabel und dem Team die das Haus so HOCHLEBEN lassen bis noch Februar 2025 !!!