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Syrische Gäste im Palast der Republik

von Dagmar Hovestädt 05.12.2024, 18 Min. Lesezeit

Wie ein unscheinbares Foto einen Pfad zur Jetztzeit legte

Der syrische Präsident Hafiz al-Assad während eines Staatsbesuches im Palast der Republik, Oktober 1978
© Bundesarchiv, Stasi-Unterlagen-Archiv
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Dagmar Hovestädt war von 2011 bis 2021 Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU). In die ersten Wochen ihrer Tätigkeit fiel der 45. Jahrestag der Eröffnung des Palastes der Republik. Für die Bereitstellung von Pressematerial recherchierte sie im Archiv der BStU nach Unterlagen und Fotos zum Thema. Ein Foto sollte sie fortan nicht mehr loslassen. Das recherchierte Material wurde 2015 Teil des Themenschwerpunktes zum Palast der Republik in der Stasi-Mediathek.

Als das Foto mit dem syrischen Präsidenten das erste Mal in der Sammlung von Stasi-Fotos zum Palast der Republik auftauchte, hatte ich es zunächst aussortiert. Es zeigte eine Menschentraube, Männer, Frauen, offiziell gekleidet, in der Mode der 1970er Jahre. Sie stehen abwartend unter der überbordenden Glaskunst im Hauptfoyer des Gebäudes. Im Zentrum zwei Männer, vermutlich durch einen Dolmetscher getrennt. Der eine, Günter Bischof, Direktor des Palastes, im blauen Anzug, scheint eine Anekdote zum Besten zu geben, die sich rechts, außerhalb des Bildrahmens zugetragen haben muss. Seine Hand deutet dorthin, der Gast blickt ebenfalls in die Richtung.

Das Foto stammt aus dem Oktober 1978. Offenkundig hatte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS, kurz: Stasi) einmal wieder dokumentiert, wie gut es gelungen war, einen wichtigen Gast bei seinem Gang durch das »Objekt« (Stasi-Sprache für Gebäude) abzusichern. Eine staatstragende Aufgabe. Dafür war er schließlich gebaut worden, der Palast der Republik. Der repräsentative Vielzweck-Bau sollte auch ausländische Gäste von der Potenz der DDR überzeugen. Die dokumentierte Szene zeigte aus dem Blickwinkel der Stasi, wie erfolgreich das funktioniert. Den Namen dieses Gastes registrierte ich eher unter dem Radar: Hafiz al-Assad, der damalige syrische Staatspräsident.

Spannender erschienen mir andere Aufnahmen wie die mit Fidel Castro oder Leonid Breschnew oder Jassir Arafat, die auf weiteren Fotos des MfS zu sehen sind, die deren Besuche im Palast festhalten. Allemal spannender für das kleine Projekt der Pressestelle der BStU zum 45. Jahrestag der Palast-Eröffnung, für das die Fotos recherchiert worden waren, zumal die Herren auf diesen Aufnahmen mit Politbüro-Mitgliedern zu sehen waren. Die Auswahl für die Webseiten-Darstellung fiel auf das Castro-Foto.

Das Foto mit al-Assad aus der Auswahl für das Presseprojekt von 2011 hätte ich gut und gern vergessen, wenn nicht Syrien mit dem Herbst 2015 eine neue Präsenz im deutschen Alltag erfahren hätte. Von den vielen hunderttausenden Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchteten und dringend eine Zuflucht brauchten, waren gut eintausend für ein Jahr in den leerstehenden Gebäuden des MfS untergekommen, genau genommen in den Hochhäusern der Hauptverwaltung A, der Auslandsspionage des Geheimdienstes, in der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Zufall der Geschichte.

Syrische Geflüchtete haben mit einer Berliner Künstlergruppe (Citizen Art Days) ihre Berufe an die Fenster des alten HVA-Gebäudes auf dem ehemaligen Gelände des MfS in Berlin-Lichtenberg geklebt, 2016
© Foto: Dagmar Hovestädt

Mir fiel das Bild des Staatschefs wieder ein und ich beschrieb das Foto bei einem Treffen auf dem Stasi-Gelände den syrischen Neubewohner*innen. In ihren Augen blitzte eine quälende Erinnerung auf. Hafiz al-Assad war im Jahr 2000 verstorben und hatte sein Amt nahtlos an seinen Sohn Bashar übergeben, damals 34 Jahre jung. Für die syrischen Bewohner*innen auf dem Stasi-Gelände war Hafiz noch immer ein Schreckensname, ein brutaler Diktator, dessen viele Verbrechen ungesühnt sind. Eine Beziehung zur DDR und auch zur Stasi fanden sie naheliegend. Die Baath-Partei, die Alleinherrscherin in Syrien, war immerhin eine sozialistische Partei und Syrien war im Kalten Krieg den »Bruderländern« des sozialistischen Lagers nicht abgeneigt.

Mit einem Mal war das Damals, das sich auf dem so gewöhnlichen Foto eines inszenierten Staatsbesuches eher belanglos darstellt, sehr präsent. Jetzt, als Menschen in den Räumen wohnten, von denen aus die Stasi einst ihre internationalen Verbindungen plante und Spione anleitete, vermutlich auch ihren getarnten Mitarbeitern in der Botschaft in Syrien Aufgaben erteilte, schien mir die Vergangenheit gar nicht mehr so weit entfernt, sondern eigentümlich lebendig und meine Antennen waren ausgefahren.

Wen also hatte die Stasi da im Oktober 1978 im Palast der Republik fotografiert? Hafiz al-Assad hatte sich 1970 mit Unterstützung des Militärs an die Macht geputscht und seine Position 1971 in einem Referendum durch das Volk bestätigen lassen. Mit 99,2 Prozent der Stimmen, die sieben Jahre später zu 99,6 Prozent anwuchsen und dann 1985 schließlich bei 99,9 Prozent landeten. Damit konnten die SED-Oberen gut mithalten. Sie ließen sich alle fünf Jahre (und nicht erst alle sieben Jahre) wählen. Aber auch ihre Ergebnisse waren ansehnlich: 99,86 Prozent Zustimmung zur SED in 1976 und wundersamerweise wieder 99,86 Prozent in 1981.

Besuch des syrischen Staatspräsidenten Hafiz al-Assad in der Bundesrepublik am 11. September 1978, (v.r.) Bundespräsident Walter Scheel, der syrische Staatspräsident Hafiz al-Assad, Anissah Assad und Mildred Scheel vor der Villa Hammerschmidt in Bonn
© Bundesregierung / B 145 Bild-00075687, Foto: Ulrich Wienke

Die Gemeinsamkeiten erschöpften sich nicht in den phänomenalen Wahlergebnissen. Auch wenn Syrien in Zeiten des Kalten Krieges ein sogenannter blockfreier Staat war, so war das Land doch auch dem »Kampf gegen den Imperialismus« verbunden und damit den sozialistischen Ländern nahe. Die Stasi pflegte auf der Arbeitsebene bereits ab den 1960er Jahren erste Kontakte zum syrischen Geheimdienst. Mit dem Putsch intensivierten sich diese. In den späten 1970er Jahren, zum Zeitpunkt des Staatsbesuches al-Assads in der DDR, war die Verbindung besonders eng. Auch wenn al-Assad wenige Wochen vor dem Besuch in der DDR erstmalig die Bundesrepublik als Staatsgast besucht hatte.

Besuch des syrischen Staatspräsidenten Hafiz al-Assad in Ost-Berlin an der Grenze zu West-Berlin, 1978
© Bundesarchiv, Bild 183-T1002-034, Foto: Manfred Siebahn

Aber was genau passierte zwischen den Geheimdiensten Syriens und der Stasi? Laut Noura Chalati, die seit 2019 diese Zusammenarbeit anhand von Unterlagen aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv und anderer Quellen erforscht, eine ganze Menge. Techniktransfer, Ausbildung, organisatorische Anleitung, aber auch Rüstungslieferungen oder die Ausbildung syrischer Militärs in der DDR. »Man muss sich hier vor Augen führen, dass gerade in Syrien die Grenzen zwischen Geheimdiensten, politischer Polizei und Militär verschwimmen.«(1)

Perfekt organisiert wie das MfS waren die Sicherheitskräfte in Syrien nicht, sehr zum Missfallen der Stasi, die von der Arbeitsweise nicht begeistert war. Zu viele verschiedene Einheiten kümmerten sich gleichzeitig um dieselben Probleme. Das fand das MfS nicht effizient und eine Verschwendung von Kapazitäten. »In Syrien gehören überlappende Aufgabenbereiche allerdings zum Struktur- und Regierungsprinzip. Die Geheimdienste kontrollieren sich so gegenseitig, und keine Behörde wird zu mächtig«(2), analysiert Noura Chalati.

Die Zusammenarbeit hielt die Stasi aber nicht davon ab, die syrischen Aktivitäten in der DDR und von der DDR aus, die sich gegen die Bundesrepublik richteten, unter Beobachtung zu halten. Auch dazu finden sich etliche Belege in Stasi-Unterlagen. Und natürlich gerieten auch syrische Bürger*innen in der DDR ins Visier, insbesondere an den Universitäten. Hier hatten Stasi-Offiziere ein regelmäßiges Arbeitspaket abzuarbeiten und arabische Studierende, auch aus Syrien, zu rekrutieren. »Es ist natürlich nicht so einfach, eine arabische Community zu überwachen, weil die offenkundig untereinander Arabisch sprechen und ebenso ist auch ein gewisses Regionalwissen wichtig, um die verschiedenen Gruppierungen gut einordnen zu können. Und deswegen war dem MfS sofort bewusst – und das ist auch in diesen Unterlagen immer sofort sichtbar – dass man für diese Überwachung arabische Studierende rekrutieren muss.«(3)

Das resümierte Sophie Hoffmann zu ihren Recherchen in den Stasi-Unterlagen. Als Leiterin des Projektes »Learning Intelligence: The Exchange of Secret Service Knowledge between Germany and the Arab Middle East 1960–2010« war sie am Leibniz Zentrum Moderner Orient (ZMO) mit Noura Chalati und Ali Dogan tief in die verborgenen Geschichten eingestiegen.

Gruppenfoto der Forschungsgruppe »Learning Intelligence«, Noura Chalati, Sophia Hoffmann, Ali Dogan (v.l.n.r.), 2024
© Leibniz Zentrum Moderner Orient

Ich hatte Sophie Hoffmann im Frühjahr 2020 zu einer Folge des von Maximilian Schönherr und mir zuvor gestarteten Archiv-Podcasts »111 Kilometer Akten« eingeladen, um über die wenig beachtete internationale Szene an den Unis der DDR zu berichten. Es war der lange Schatten dieses einen Fotos, der mich für dieses Forschungsthema sensibilisiert hatte. Sophia Hoffmann erzählte, dass in den 1970er und 1980er Jahren viele Studenten (meistens männlich) in die DDR zum Studieren gekommen waren. Mit knapp eintausend jungen Menschen aus Syrien war dies die größte Gruppe der arabischen Studierenden in der DDR in jener Zeit. Diverse Kulturabkommen bildeten dafür die Grundlage. Die Reaktion der Stasi auf diesen Anstieg war der Mielke-Befehl 3/81, der hier neues Potenzial und ein Arbeitsfeld sah. Die Stasi betrachtete die Studierenden, insbesondere aus Konfliktregionen, als Quellen, um mehr über Länder wie Syrien, Jemen oder den Irak in Erfahrung zu bringen. Die Studenten galten zudem auch als Perspektiv-Agenten für das MfS, wenn sie wieder in ihr Land zurückkehrten. Dass sie aus dem eigenen Land an die DDR berichteten, ist verbürgt, auch wenn die Unterlagen der Auslandsspionage weitgehend vernichtet sind.

Noura Chalati konnte feststellen, wie sehr diese Vergangenheit weiterwirkt, als sie die ersten Prozesse gegen syrische Geheimdienstler auf Basis des Weltrechtsprinzips in Koblenz im Jahr 2020 beobachtete. »Die syrischen Geheimdienste haben sich in den 1970er Jahren institutionalisiert und ihre Strukturen bis heute beibehalten. Vor allem die bürokratischen Abläufe und die Überwachung erkenne ich wieder. Die Drohkulisse, die Einschüchterungen und die Angst der Beteiligten und Zeugen am Verfahren in Koblenz. Was ich in den historischen Quellen allerdings nicht finde, ist diese unfassbar repressive und gewaltvolle Seite der Geheimdienste, die sich seit 2011 so deutlich zeigt.«(4) Der Stasi sei das brutale Vorgehen gegen Teile der eigenen Bevölkerung in Syrien auch schon damals bekannt gewesen, es habe sie aber nicht weiter beschäftigt, resümiert Chalati.

Die Fäden, die damals gesponnen wurden und mit den offiziellen Besuchen auch im Palast der Republik veredelt waren, sind mittlerweile weit über 50 Jahre alt. Aber sie sind lebendig. Die Journalistin Dima Albitar Kalaji flüchtete 2013 nach Berlin und auch sie begab sich ins Bundesarchiv, um die Spuren des Regimes zu finden. Sie stöberte durch Kommuniqués und Protokolle des DDR-Außenministeriums, das Echo ihrer eigenen Verfolgung im Kopf und fand Versatzstücke diplomatischer Arbeit mit weitreichenden Folgen: »Sozialistische Grüße von der einen an die andere Seite und zurück. Wünsche und Danksagungen. Versprechungen der DDR, die syrischen Fünfjahrespläne zu unterstützen, mit denen die syrische Wirtschaft maßgeblich ausblutete und die die Korruption institutionalisierten.«(5)

Und also sind wir beim Heute, dem Land Syrien, das immer noch im Bürgerkrieg steckt, mit einem Diktator, der die Macht von seinem Vater vor 24 Jahren übernommen hat und der wie sein Vorgänger durch die Unterstützung des Militärs und der verflochtenen Sicherheitsapparate eisern regiert. Als das Regime im Jahr 2013 beinahe kollabierte, war der Sohn wie sein Vater pragmatisch bei der Wahl der Unterstützer. Militärhilfe aus dem schiitischen Iran, von der radikalislamistischen Hisbollah sowie insbesondere aus Russland halfen ihm, an der Macht zu bleiben. »Die Zukunft und Form des autoritären Regimes in Syrien hängt weiter in weiten Teilen von der fortgesetzten Unterstützung durch Russland und den Iran ab.«(6) Bei den letzten Wahlen im Mai 2021 übrigens wurde Bashar al-Assad als Präsident mit 95 Prozent wieder »gewählt«.

Am 8. Dezember 2024 verließ al-Assad Syrien und ging ins Exil nach Moskau. Er floh vor einer militärischen Rebellen-Koalition, die das Land von der Diktatoren-Dynastie befreit hatte.

 

Redaktionelle Notiz: Aufgrund der aktuellen Ereignisse in Syrien ergänzte die Autorin am 13.12.2024 die letzten beiden Sätze Ihres Beitrages.

Dagmar Hovestädt war von 2011 bis 2021 Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Sie ist unabhängige Forscherin zu Archiven in Menschenrechtskontexten sowie Autorin und Moderatorin. Zurzeit arbeitet sie mit dem Team des virtuellen ISIS Prisons Museum zusammen, das mit digitalen Rekonstruktionen Orte der Verbrechen in Syrien und Irak detailgenau untersucht, um für die Familien der Verschwundenen über das Geschehene aufzuklären und Strafverfolgung zu ermöglichen. Das Museum und das dazugehörige Archiv wird von einer Gruppe syrischer und internationaler Journalist*innen, Künstler*innen und Dokumentarfilmer*innen betrieben.

(1) Noura Chalati (2022). »Der Austausch ging in beide Richtungen«. Interview im Leibniz-Magazin, erschienen am 28. Juni 2022. Abgerufen am 2.9.2024 | www.leibniz-magazin.de (nach oben ↑)

(2) ebenda  (nach oben ↑)

(3) Sophie Hoffmann (2020). »Arabische Studenten als IM«. Podcast »111 Kilometer Akten«. Folge 11. Abgerufen am 2.9.2024 | www.bundesarchiv.de (nach oben ↑)

(4) Noura Chalati (2022)  (nach oben ↑)

(5) Dima Albitar Kalaji (2023). »Ein Staub, der sich niemals legen wird«. Berliner Zeitung 23.10.2023. S. 17 (nach oben ↑)

(6) Moshe Ma’oz (2022). The Assad Dynasty: Quo Vadis Damascus? (Syria). p. 249-262. In: Dictators and Autocrats. Securing Power across Global Politics. Edited by Klaus Larres. Hier S. 263. (nach oben ↑)

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