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Ein bautechnisches Fossil

von Volker Mende 01.07.2024, 8 Min. Lesezeit

Das einzig erhaltene Originalmodell des Palastes

Idealisiertes Modell der Stahlkonstruktion des Palastes der Republik, VEB Metalleichtbaukombinat, 1974
© TU Bergakademie Freiberg, Kustodie
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Am 13. August begann es. Es bedarf weniger Erklärungsversuche, wieso die Bauleitung unter dem Berliner Architekten Erhardt Gißke den Beginn des Aushebens der Baugrube des Palastes auf diesen symbolischen Tag des Jahres 1973 legte. Gißke selbst hat eine interessante Vorgeschichte: er leitete einst das Institut für Industriebau an der Bauakademie der DDR. In der Akademie pochte das Herz des industriellen Bauens in der DDR, von hier gingen die bauwissenschaftlichen Signale zur industriellen Vorfertigung getypter Bauten aus, seien sie aus Holz, Stahlbeton oder Stahl. Doch Stahl war teuer. So entstand die Idee, mit schmalen, dünnen Stahlelementen in Kombination mit Aluminiumstäben und leichten Fassaden zu bauen. Diese Bauweise setzte sich ab 1969 durch und wurde »Metalleichtbau« genannt.

Innerhalb des Schwerpunktprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) »Kulturerbe Konstruktion« beschäftigte sich unser Team von der Technischen Universität (TU) Braunschweig und der TU Bergakademie Freiberg mit dieser besonderen Bauweise. Sie ist weltweit typisch für diese Zeit gewesen und prägte in der DDR wesentlich den Industrie-, Sporthallen-, Verwaltungs- und Unterkunftsbau. Das staatliche Unternehmen, der sogenannte Volkseigene Betrieb (VEB) Metalleichtbaukombinat (MLK) war mit 22.000 Mitarbeiter*innen größtes Baukombinat der DDR für Stahlhochbau. So nimmt es nicht wunder, dass dieses Kombinat das Stahltragwerk des Palastes plante und realisierte.

Am 27. März 1973 hatte das Politbüro der SED den Bau des »Palastes der Republik« beschlossen, der seitdem diesen Namen trug. Die Planung vollzog sich in atemberaubendem Tempo, die Herstellung von Stahlbeton hätte für die Umsetzung schlicht zu lange gedauert. Schon seit 1972 rechnete ein Statiker im MLK-Werk Niesky unter strengster Geheimhaltung die nötigen Stahlmengen aus. Das Werk bekam die Oberleitung der Stahlbauplanung für den Palast, viele andere Werke bauten mit.

Idealisiertes Modell der Stahlkonstruktion des Palastes der Republik, VEB Metalleichtbaukombinat, 1974
© TU Bergakademie Freiberg, Kustodie

Die Ausstellung »Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart« zeigt ein Funktions- und Präsentationsmodell des Stahltragwerkes des Palastes im Maßstab 1:100. Es ist eine idealisierte Darstellung, denn die drei Bauwerksteile »Volkskammersaal« (links), Foyertrakt (mitte) und »Großer Saal« (rechts) wurden so nie zeitgleich umgesetzt. Am dargestellten Kellerboden ist, bis auf Ausnahmen, das Bauraster des Palastes, 9 x 12 Meter, dargestellt. So konnte im Baubüro jederzeit die Achslage eines Stahlbauteiles festgestellt und überprüft werden.

Teilansicht des idealisierten Modells der Stahlkonstruktion des Palastes der Republik, VEB Metalleichtbaukombinat, 1974
© TU Bergakademie Freiberg, Kustodie

Zu erkennen an der orangen Farbe ist ein mächtiges Hubportal, mit dem ein 87m-Binder in seine Endposition auf die Hauptstützen gehoben wurde. Dazu wurden mehrere, koordinierte Winden eingesetzt, wie wir von Zwischenstandfotos aus der Modellbauwerkstatt des MLK wissen.

Montage der Stahlkonstruktion, Palast der Republik, November 1974
© Privatsammlung, digital archiviert im Rahmen des DFG-SPP 2255

Der Werbefilm des MLK dokumentiert diesen hochtechnisierten Stahlbau zwischen Frühjahr und November 1974. Das in der Eingangssequenz gezeigte Modell, heute im Bestand der Kustodie der TU Bergakademie Freiberg, diente damals als Darstellungsmedium für den komplizierten Bauprozess. Ist solch ein Funktions- und Präsentationsmodell denn nun genauso bedeutend, wie das ab 2006 abgetragene Bauwerk? Es ist in mehrerlei Hinsicht nicht nur ein bedeutsames Geschichtsobjekt, sondern auch ein einzigartiges Zeitzeugnis einer historischen Epoche. Es ist von den etlichen, zur Repräsentation gedachten Palastmodellen das einzig noch erhaltene. Es weist exemplarisch auf die gebaute Staatspolitik der DDR hin sowie auf die hohe Leistungsfähigkeit der drei beteiligten Konstruktionskollektive in den MLK-Werken Niesky und Leipzig, welche für die vielfältigen Belastungen und Nutzungsansprüche eine Tragwerkskonstruktion entwickelten, die in diesem Ausmaß erstmals in der DDR Anwendung fand. Es ist ein herausragendes konstruktionsgeschichtliches Fossil eines vergangenen Zeitalters.
Und nicht zuletzt: Das Funktionsmodell ist erhalten, das Gebäude nicht. Das macht seine wesentliche Qualität als Geschichtszeugnis aus.

Volker Mende hat von 2021–2024 die Modellsammlung des »VEB Metalleichtbaukombinat« innerhalb eines von der DFG geförderten Projektes erforscht. Wurzeln im Bauwesen der DDR führten ihn in die praktische Denkmalpflege, wo er vornehmlich im Land Brandenburg Ausgrabungen und Bauforschung betrieb. Nach dem Master-Studium Denkmalpflege in Cottbus war und ist er wieder freiberuflich tätig.

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