Paläste, Denkmäler, Gedenkstätten und Geschichtspolitik
Eine besondere Beobachtung konnten wir im Dezember 2022 machen, als wir mit dem ganzen Team eine sechstägige Studienreise durch vier ost- und südosteuropäische Hauptstädte unternahmen: Geschichtspolitik im öffentlichen Raum zum Zwecke nationaler Identitätsstiftung.
Teil 1
In Warschau prägt der Gegensatz von Stadt Warschau und Land Polen die politische Landschaft. Junge Theatermacher*innen im monumentalen »Kultur- und Wissenschaftspalast«, der 1952-1955 als »Geschenk« Stalins an Polen an Stelle eines der wenigen 1945 noch intakten Stadtviertel errichtet wurde, erreichen mit innovativen Formaten und auf Festivals ihr städtisches Publikum. Sie arbeiten offensiv »gegen die stalinistische Architektur« (Paulina Olszewska). Der Palast versucht sich heute durch Kongress- und Kulturveranstaltungen zu refinanzieren. Zum Zeitpunkt unserer Reise ist u.a. die Ausstellung »Körperwelten« mit den Plastinaten Gunther von Hagens zu sehen. Von der Aussichtsplattform zeigt sich die gläserne Skyscraper-Kulisse des modernen Warschaus. Erst seit Neuestem überragt der »Varso«-Tower von Foster + Partners den Kulturpalast als nunmehr höchstes Gebäude nicht nur Warschaus und Polens, sondern gleich der EU.
Während der von der oppositionellen »Bürgerplattform« regierte Stadtrat von Warschau sich mehr oder weniger den Zumutungen des weitgehend PiS-regierten Landes zu widersetzten versucht, setzt sich das eher konservativ regierte Land auch in Warschau demonstrativ dort durch, wo es sich direkten Zugriff erstritten hat. So wurde 2018 am Rande des Piłsudski-Platzes, dort, wo sich auch das Grabmal des Unbekannten Soldaten unter den noch erhaltenen Arkaden des einstigen »Sächsischen Palais« befindet, vom Land gegen den Widerstand des Stadtrates das Denkmal für die bei der Flugzeugkatastrophe von Smolensk 2010 ums Leben gekommenen Insassen errichtet und so eine Parallele suggeriert: eine Treppe in den Himmel aus schwarzem Granit, einer Gangway gleich, bei der die untersten Stufen fehlen. Dem nicht genug: Im folgenden Jahr wurde in Sichtweite ein separates überlebensgroßes Sockel-Standbild des bei ebendiesem Flugzeugabsturz zu Tode gekommenen ehemaligen Staatspräsidenten und PiS-Vorsitzenden Lech Kaczyński eingeweiht. Dort, wo auch Staatsakte und Paraden stattfinden, bleiben die beiden Denkmäler einstweilen mehr eine umstrittene Kampfansage, als dass sie zur Identitätsstiftung beitragen könnten.
Teil 2
In Bukarest dagegen gibt es scheinbar Wichtigeres zu tun: eine Stadt im Umbruch. Der im Volksmund Ceaușescu-Palast genannte, früher »Haus des Volkes«, heute »Palast des Parlaments« betitelte erst 1989 (!) fertiggestellte gigantomanische Bau beherbergt die rumänische Abgeordnetenkammer und den Senat. Er dient auch als Konferenz- und Verwaltungszentrum. Das rundum ummauerte und nur für angemeldete Führungen zu besichtigende Haus der Superlative (Grundfläche circa 65.000 qm, im Vergleich dazu der Palast der Republik: circa 15.500 qm), für das ein ganzes Stadtviertel mit 40.000 Wohnungen abgerissen wurde, wird mehr denn je gebraucht und genutzt. Ein Abriss wurde diskutiert und schnell wieder verworfen. In einer absurden Kulisse aus vergangenen autokratischen Zeiten wird seither Demokratie gelebt. Welchen Einfluss Architektur auf die Mentalität der dort Wirkenden haben mag, bleibt offen.
An Denkmälern in der Stadt hat man den gigantischen Triumphbogen von 1936 wieder sandgestrahlt, auch das Fliegerdenkmal von 1935 wurde aufwendig saniert. Das prominenteste neuere Denkmal ist das »Denkmal der Wiedergeburt« von 2005 auf dem heutigen Revolutionsplatz, dort wo Ceaușescu im Dezember 1989 seine letzte Rede hielt. Nachdem es mehrfach durch Graffitis beschädigt wurde, steht es jetzt unter ständiger Bewachung.
Teil 3
Betritt man in Sofia den als Stadtkrone weithin sichtbaren und für jedermann öffentlich zugänglichen »Nationalen Kulturpalast«, 1978-1985 als Stahlskelettbau errichtet, glaubt man kurz, der Palast der Republik sei wieder auferstanden. Dass der Palast der Republik sein inspirierendes Vorbild war, bleibt unverkennbar. Nach wie vor als Kongress- und Kulturzentrum genutzt, muss auch er sich heute mühsam refinanzieren: Im weitläufigen Foyer mit vertikalen (statt horizontalen) Kugellampen und ausladenden Sesselmöbeln (braun statt rot) finden mobile Stände mit Billigwaren ihren Ort. Ein offenes Haus: Auf sich allein gestellt, kann man sich in den acht Geschossen samt Dachterrasse verlieren, selten trifft man jemand anderen. Kaffeeketten und Imbisse im Erdgeschoss sind Pächter. Eine Projektion für die Nutzung des Palastes der Republik, hätte es die Asbestsanierung nicht gegeben? Die Hülle und seine unmittelbare Umgebung bedürfen in naher Zukunft einer Generalsanierung. Für die Geschichtspolitik spielt der Kulturpalast scheinbar keine große Rolle mehr. Es gibt ihn halt. Unübersehbar, aber mehr auch nicht.
Am »Platz der Unabhängigkeit« steht seit 2000 das allegorische Säulendenkmal der »Heiligen Sofia«, der Namensgeberin der Stadt. Bis 1990 stand hier ein Lenindenkmal, das sich heute etwas außerhalb im »Museum für sozialistische Kunst« befindet. Auf einem Außengelände aufgestellt, finden sich viele der abgeräumten Standbilder von Felix Dzierżyński bis Ernesto Che Guevara: Geschichtspolitik deponiert und musealisiert.
Teil 4
Budapest dagegen bietet ein eindeutiges Bild. Die »westlichste« der besuchten Städte mit Premium-Flagstores auf der Einkaufsmeile lässt hier keine Zweifel. Die Bauten aus Habsburger Zeiten waren und sind in hervorragendem Zustand. Eines Volkspalastes bedurfte es offenbar nie. Die historische Burg auf Buda Seite, auf einer Anhöhe weithin sichtbar über der Stadt thronend, von den Außenmaßen dem Palast in Bukarest durchaus vergleichbar, wird gegenwärtig aufwändig saniert und rekonstruiert. Anschließend sollen die bisherigen Nutzer nicht mehr einziehen. Das Gerücht geht um, dies werde der künftige Palast für den »ewigen Ministerpräsidenten«. Ein Gerücht, aber leider nicht ganz unplausibel.
Ganz ähnlich zu Sofia findet sich auch in Budapest, etwas außerhalb der Stadt, der mittlerweile berühmte »Memento Park«, eine Grünanlage mit abgeräumten Statuen von Marx bis Lenin. Ein jenseits jeder Denkmalstürmerei distanzierender und gleichsam ironischer und zivilisierter Umgang mit vergangenem Stadtmobiliar, wenngleich viele der Denkmäler, wie auch anderswo, auch zum Kauf angeboten und privatisiert wurden. Erheiternd fast der Rest vom weit überlebensgroßen Stalinstandbild: Bereits 1956 geschleift, stehen nur noch seine Stiefel auf angedeutetem Podest im »Memento Park« – allerdings als Kopie.
Am Ufer der Donau, kurz vor der Fischer-Bastei findet sich seit 2005 ein ergreifendes Denkmal der verlorenen Schuhe. Auf etwa vierzig Metern Länge finden sich direkt am Donauufer, zunächst recht unscheinbar, sechzig Paar bronzene Schuhe. 1944/45 wurden an dieser Stelle mehrere Tausend jüdische Menschen von ungarischen Faschisten ermordet. Die Inschrift auf den Gedenktafeln in Ungarisch, Englisch und Hebräisch lautet: »Im Gedenken an die Opfer, die 1944/45 von bewaffneten Pfeilkreuzlern in die Donau geschossen wurden«. Dass die Opfer jüdisch waren, erfährt man hier nicht – man erkennt es nur an den kleinen israelischen Fahnen, die in den Schuhen stecken, und den typisch israelischen Gedenkkerzen. Dass die Täter Ungarn waren, wenn auch unter deutscher Besatzung, verbleibt im Ungefähren.
Recht kreativ und ironisch dagegen der Umgang mit dem Ruhmesdenkmal für die sowjetische Armee, über dessen Abriss immer wieder diskutiert wird: eine lebensgroße Bronzestatue des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan ohne Sockel konterkariert den monumentalen Obelisken mit goldenem Stern. Inmitten der Innenstadt, Nahe der amerikanischen Botschaft auf dem »Freiheitsplatz«, läuft er seit 2011 kühnen Schrittes und bester Laune auf den heroischen Obelisken zu. Beliebtes Fotomotiv bei Touristen, die dem Präsidenten die Hand reichen.
Das Denkmal für die Opfer der deutschen Besatzung in Budapest bleibt dagegen in jeder Hinsicht kontrovers: Ohne öffentliche Debatte und Wettbewerb 2014 errichtet, zeigt es inmitten einer Kolonnade von gebrochenen Säulen einen sehr androgynen Erzengel Gabriel, Schutzpatron Ungarns, den ein aggressiver Adler, der für das nationalsozialistische Deutschland steht, von hinten oben angreift. Teile der ungarischen Zivilgesellschaft, die dem Staat auch an dieser Stelle eine verordnete Geschichtspolitik vorwerfen, sind aktiv geworden und haben dauerhaft ein Gegendenkmal organisiert. Immer wieder erneuert und ergänzt finden sich viele Bilder, laminierte Informationsblätter auf einer Leine und Kerzen direkt davor. Sie machen den Widerspruch zwischen der Darstellung als Opfer und der Tatsache sichtbar, dass Ungarn vor dem deutschen Einmarsch 1944 ein Verbündeter NS-Deutschlands gewesen war.
»Terror Háza«
Den Höhepunkt nationaler Geschichtspolitik bietet das »Haus des Terrors«, »Terror Háza«: ehemals Verwaltungs- und Folterzentrale der (ungarischen) Faschisten wie der (ungarischen) Kommunisten – Prinz-Albrecht-Palais, Normannenstraße und Hohenschönhausen in einem sozusagen. Eine Gedenkstätte für die »Opfer des 20. Jahrhunderts« – Fotografieren verboten – und inszeniertes Museum gleichermaßen. Das Schreckensregime der nach dem deutschen Einmarsch an die Macht gekommenen ungarischen »Pfeilkreuzler« und das Terrorregime der ungarischen Kommunisten, die mit der sowjetischen Herrschaft an die Macht gekommen waren, werden in einer Gedenkstätte, durchweg untermalt von dramatischer Musik, Videoeinspielungen und viel nachgestellter Szenographie bei nahezu ausschließlich ungarischen Wandtexten, gleichermaßen als Täter, das ungarische Volk undifferenziert als Opfer des nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion gezeigt. Die Erfüllung findet sich in der Gegenwart. Geschichte war und ist komplex und kompliziert. Jedenfalls deutlich komplexer, als es hier den Anschein hat. Im Laufe des Rundgangs verharrt man mit einer kleinen Gruppe zufällig Wartender vor einer Aufzugstür. Der Aufzug öffnet sich, man tritt hinein. Die Tür schließt und der Raum verdunkelt sich. Nichts tut sich. Dann erscheint ein Video, auf dem ein Zeitzeuge – hier mit englischen Untertiteln – eine Hinrichtungsszene mit allen Details schildert. Abstand – in jeder Hinsicht – ist in diesem geschlossenen Raum nicht möglich. Klaustrophobische Gefühle stellen sich ein. Überwältigung. Nahezu unbemerkt bewegt sich der Aufzug minutenlang ganz langsam ins Kellergeschoss. Betreten erreicht man die – sind sie nun echt oder inszeniert? – Gefängnis- und Folterzellen des »Terror Háza«. Dramatische Musik setzt den Rundgang fort …
Reinhard Alings ist Teil des Programmteams »Der Palast der Republik ist Gegenwart«. Er ist Kurator der Ausstellung »Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart«, die seit 2024 im Humboldt Forum zu sehen ist.