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›Verlorene‹ Paläste in der Provinz

by Uta Bretschneider 04.25.2023, 15 Min. read

Kulturhäuser des »Arbeiter-und-Bauern-Staates« als Lost Places

Kulturhaus in Bitterfeld, 2022
Kulturhaus in Bitterfeld, 2022
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Das »Haus der Freundschaft«, der Kulturpalast des VEB Chemische Werke Buna in Schkopau (Sachsen-Anhalt) liegt wie ein verwundetes Tier am Rand der Straße, am Rand des Industriegebietes. Das monumentale Bauwerk des Sozialistischen Klassizismus der frühen 1950er Jahre sieht man von fern. Einst sollte hier Kultur allen zugänglich gemacht werden. Heute ist es Destination für Lost Places-Fotograf*innen. Rohstoffdiebe sind längst durchgezogen. Die Glücksritter der Transformationsjahre sowieso. Das »Haus der Freundschaft« sollte Diskothek werden. Viel Originalsubstanz ging beim Umbau verloren, doch zum Abschluss kam das Projekt nie. Die Ruine des Kulturpalastes ist zugleich eine Art Denkmal der Vergnügungsindustrie der Nachwendejahre. Oder besser, sie ist »Vergessmal«. Der Volkskundler Utz Jeggle verwendete den Begriff schon Anfang der 1980er Jahre. (1) Jeggles »Vergessmal« ist das Gegenstück zum Denkmal. Ein Ort, der nicht erinnert, sondern das Vergessen verdinglicht.

Kulturhaus in Schkopau, 2020
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Im Folgenden soll es um genau diese Orte gehen: Um die Paläste des selbsternannten »Arbeiter-und-Bauern-Staates«, die heute oft »Vergessmale« sind, um besonders monumentale architektonische Spuren der DDR in meist kleinstädtisch oder ländlich geprägten Regionen, die dem Verfall und dem Vergessen anheimfallen. Diese Palast-Ruinen materialisieren DDR-Geschichte, aber zugleich auch – wie klaffende Wunden – den schmerzvollen und letztlich noch kaum verarbeiteten Prozess dramatischer Umbruchserscheinungen nach dem Ende der DDR. Sie sind auch Zeugen des abrupten Endes der Zentralverwaltungswirtschaft, von Betriebsschließungen, Umstrukturierungen, gescheiterten Berufswegen, Abwanderungen, Verkäufen und von wilden Plänen, die wie Seifenblasen platzten. An den ›verlorenen‹ Palästen lassen sich vielerlei Spuren der Zeitgeschichte ablesen. (2)

Das macht sie auch zu beliebten Motiven der sogenannten Lost Places- oder Urbex-Fotografie. Instagram-Kanäle, Blogs und Internetseiten, Angebote für geführte Touren, Bildbände und Ausstellungen zeugen von einem gesteigerten Interesse für diese morbiden, trostlosen, ruinösen, verfallenen, kurz ›verlorenen‹ Orte. Es geht darum, Orte wiederzufinden und sie neu zu erfinden, in Form fotografischer Aneignung. Aus den verlassenen Palästen werden so einerseits Geschichtsquellen, aber andererseits auch Erlebnis-, Motiv- und Kulissenorte. Bestenfalls treten Lost Places-Fotograf*innen gewissermaßen in Dialog mit den Gebäuden. Sie stellen Fragen. Die Architekturen antworten. Manche sind gesprächig, ja schwatzhaft. Anderen kann man kaum Informationen entlocken. Die ›verlorenen‹ Kulturpaläste haben viel zu erzählen: Von ihrem Bau in Zeiten des Mangels, von politischen Reden und rauschenden Festen, von Zirkeln und Kinofilmen – auch von der Kulturrevolution, die der Einparteienstaat selbst ausgerufen hatte. Sie berichten von Ungewissheit, von Spekulationsgeschäften, von Umnutzungen, von Umbauten, von Rohstoffdiebstahl, Vandalismus und Graffitis. Einige können auch von Kulturinitiativen, Investitionen und regem Vereinsleben berichten. Es ist eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, eine Überlagerung von Geschichte und Geschichten, die den speziellen Reiz der Kulturhäuser ausmacht.

Allein durch ihre Größe und oft zentrale Lage sind die Kulturhäuser architektonische Landmarken in den Gemeinden. In ihrem Verfall und Leerstand sind sie zugleich Störstellen: Sie passen nicht so recht in die Zeit und an ihre Standorte, fügen sich nicht harmonisch ein. Sie widersetzen sich, fordern heraus. Die »Vergessmale« gewordenen Kulturpaläste der DDR provozieren Menschen durch ihre Nicht-Perfektion, ihr Eigenleben und durch ihren sichtbaren Verfall. Und manchmal wird aus dieser Provokation Engagement und Aktivität: Eine Vielzahl gerade ländlicher Kulturhäuser hat heute zwar keine dauerhafte Nutzung und ist in diesem Sinne ›lost‹, doch gibt es durchaus Initiativen für den Erhalt.

Kulturhaus in Mestlin, 2014 Foto: Uta Bretschneider

In Mestlin (Mecklenburg-Vorpommern) etwa, dem einstigen »sozialistischen Musterdorf«, kämpft ein Verein für den Erhalt des übergroßen 1950er-Jahre-Kulturhauses. Seit 2008 organisiert der Denkmal Kultur Mestlin e. V. Ausstellungen, Konzerte und Marktformate und trägt so zum Erhalt des neoklassizistischen Gebäudes bei.

Kulturhaus in Unterwellenborn, 2019

Im thüringischen Unterwellenborn sieht der 1954 seiner Nutzung übergebene Kulturpalast des VEB Maxhütte äußerlich etwas intakter aus, allerdings ist auch er stark baufällig, in Teilen sogar in seiner Substanz gefährdet. Ein sinnvolles Nutzungskonzept fehlt. Auch hier bemüht sich ein Verein um den Erhalt des Gebäudes, das seit den 1990er Jahren einem Unternehmer aus Bayern gehört.

Kulturhaus in Plessa, 2022

Die Zukunft des Kulturhauses im südbrandenburgischen Plessa war ebenfalls Jahre lang ungewiss. Das ab Mitte der 1950er Jahre vom Plessaer Braunkohlewerk errichtete Gebäude belastete den Haushalt der nicht einmal 3.000 Einwohner*innen zählenden Gemeinde schwer. Doch es gab Unterstützung und so kann seit einigen Jahren wieder im Kulturhaus gefeiert werden. (3)

Kulturhaus in Bitterfeld, 2022
Kulturhaus in Bitterfeld, 2022
Kulturhaus in Bitterfeld, 2022
Kulturhaus in Bitterfeld, 2022

Ein Beispiel für eine jüngere Wiederbelebung bietet das Kunst- und Kulturfestival »OSTEN – Welcome to Bitterfeld«, das 2022 erstmals im Kulturpalast von Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) stattfand. Ein ebenso kreativer wie fulminanter Neuanfang für das 1954 eingeweihte Gebäude, für welches bereits 2017 ein Abrissantrag gestellt worden war. Doch nachdem der neue Eigentümer verstarb, ist die Zukunft des Gebäudes wieder ungewiss: 2023 sucht der Palast von Bitterfeld einen neuen Eigentümer. (4)

Kulturhaus in Halberstadt, 2022
Kulturhaus in Halberstadt, 2022
Kulturhaus in Halberstadt, 2022
Kulturhaus in Halberstadt, 2022

Ein Abschied steht unmittelbar bevor: Das Kulturhaus von Halberstadt (Sachsen-Anhalt), keines, das im Stil des sogenannten Sozialistischen Klassizismus errichtet wurde, sondern ein spätes und selteneres Exemplar der »Ostmoderne« aus dem Jahr 1978, wird derzeit abgerissen. Das »Klubhaus der Werktätigen« besticht durch seinen Purismus und wirkt zeitlos, doch es muss einem Neubau weichen. Die Stadt hat Gebäude und Grund an einen privaten Investor verkauft. Wo einst die Werktätigen feierten, soll nun Wohnen und Einkaufen verortet werden. (5)

Es ließe sich eine beachtliche Zahl sanierter, verschwindender oder bereits verschwundener Kulturpaläste, gerade in eher ländlichen Regionen Ostdeutschlands benennen. Insgesamt bestanden zum Ende der DDR um die 2.000 Kulturhäuser in Stadt und Land. (6) Die angeführten Beispiele stehen pars pro toto für die Kulturbauten abseits der großen Städte. Die politisch-ideologische Aufladung der DDR-Kulturpaläste hat sie – zusätzlich zu ihrer monumentalen Größe – lange zu unliebsamen Denkmalen und damit zu »Vergessmalen« werden lassen. Nicht selten war/ist ihr Erhalt eine enorme Belastung für die Haushalte kleiner Gemeinden.

Die ›verlorenen‹ Paläste des »Arbeiter-und-Bauern-Staates« waren einst Orte des kulturellen Lebens in den Kleinstädten und Dörfern der DDR, später, nach dem Ende des SED-Staates, wurden sie zu Orten des Aufbruchs, und heute sind sie Orte, an denen man den Zusammenbruch von ländlichen Infrastrukturen exemplarisch ablesen kann. Die Paläste in der Provinz sind Zeitzeugen, mit denen es sich in Dialog zu treten lohnt.

Dr. Uta Bretschneider ist Direktorin des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig. Als Kulturwissenschaftlerin und Soziologin arbeitet sie u. a. zu Erinnerungskulturen, Alltagswelten der DDR, Biografien und zur Geschichte ländlicher Räume. Uta Bretschneider ist Mitglied im Sounding Board zur geplanten Ausstellung »Der Palast der Republik ist Gegenwart« im Humboldt Forum.

(1) Utz Jeggle, Vom Umgang mit Sachen, in: Konrad Köstlin/Hermann Bausinger (Hg.), Umgang mit Sachen. Zur Kulturgeschichte des Dinggebrauchs, Regensburg 1983, S. 11-25, hier S. 17. (nach oben ↑)

(2) Dazu siehe auch: Uta Bretschneider, Einheit vielstimmig. Wiedervereinigung und Transformationszeit in der Erinnerungskultur, in: Marcus Böick/Constantin Goschler/Ralph Jessen (Hg.), Jahrbuch Deutsche Einheit 2021, Berlin 2021, S. 51-71 und Dies., »Lost Places«-Fotografie. Industriekultur zwischen »Authentizität« und Inszenierung, in: Michael Farrenkopf/Torsten Meyer (Hg.), Authentizität und industriekulturelles Erbe. Zugänge und Beispiele, Berlin 2020, S. 83-104. (nach oben ↑)

(3) https://www.plessa.de/verzeichnis/objekt.php?mandat=4630 (Zugriff am 29.3.2023). (nach oben ↑)

(4) https://www.mz.de/lokal/bitterfeld/nach-unfalltod-von-matthias-gossler-familie-sucht-neuen-eigentumer-fur-kulturpalast-bitterfeld-3519661?reduced=true (Zugriff am 29.3.2023). (nach oben ↑)

(5) https://www.volksstimme.de/lokal/halberstadt/wohnen-und-einkaufen-in-halberstadt-klubhaus-ruine-weicht-neuen-ideen-3541885?reduced=true (Zugriff am 29.3.2023). (nach oben ↑)

(6) Eine wunderbare Übersicht zu den Kulturpalästen bieten: Simone Hain/Stephan Stroux, Die Salons der Sozialisten. Kulturhäuser in der DDR, Berlin 1996. (nach oben ↑)

Redaktionelle Notiz: Am 22.5.2023 haben wir den Artikel aktualisiert: Das Foto des Kulturhauses in Mestlin zeigt nun nicht mehr das Gebäude im Jahr 2014, sondern den Zustand des Hauses im Jahr 2023.

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