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Der Moment des Verbunden-Seins

by Tobias Kruse 07.08.2024, 10 Min. read

Der Ostkreuz-Fotograf Tobias Kruse über seine Begegnungen für die Porträt-Serie zum Palast der Republik

Burckhard Labowski, fotografiert am 4. Oktober 2023 in Berlin.
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Tobias Kruse erhielt 2023 den Auftrag, die Menschen zu porträtieren, die im Rahmen der Erinnerungsarbeit am Humboldt Forum zum Palast der Republik interviewt worden sind. Wir sprachen z.B. mit einstigen Angestellten, aber auch mit Besucher*innen sowie mit denjenigen, die den Palast bewusst gemieden hatten. Hier berichtet Tobias Kruse über seine Arbeit als Fotograf und die intensiven Begegnungen mit den Porträtierten und wir zeigen Euch einige seiner Fotografien. Viele weitere findet Ihr in der Ausstellung »Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart« sowie in der Publikation.

Als sich im Frühjahr 2023 die Frage stellte, ob ich mir vorstellen könnte, Porträts zu fotografieren für eine Ausstellung zum Palast der Republik im Humboldt Forum, war ich zunächst einmal skeptisch. Der Gedanke »erst reißen sie ihn ab, dann machen sie eine Ausstellung« war aber vielleicht zu einfach und naheliegend, um ihn länger mit mir herumzutragen. Meine durchaus gehegten Vorurteile verloren schnell an Gewicht, als ich die ersten Male mit den Ausstellungsmacherinnen zusammensaß. Denn es wurde klar, dass das eine mit dem anderen nicht unbedingt etwas zu tun hat. Die Palast-Ausstellung lässt sich nicht mit dem Humboldt Forum, seiner Entstehungsgeschichte und den aktuellen Debatten darum gleichsetzen. Man mag von dem rekonstruierten Schloss halten, was man will, das Gebäude ist nun einmal da und es ist höchst unwahrscheinlich, dass es in naher Zukunft ebenfalls abgerissen wird.

Eine der für mich wichtigsten Eigenarten meines Berufes als Fotograf ist, dass ich häufig mit Menschen und Lebensrealitäten zu tun habe, denen ich sonst wahrscheinlich nie begegnen würde. Das unmittelbare Erleben teils extremer sozialer, gesellschaftlicher und kultureller Unterschiede schult die Ambiguitätstoleranz. Das heißt, die Fähigkeit, Widersprüche aushalten zu können, ist sicher nicht von Nachteil, wenn man sich einerseits mit dem Humboldt Forum und andererseits mit dem Osten Deutschlands und den Folgen der Wiedervereinigung beschäftigen will. Denn letztlich ist es ja die jüngere deutsche Geschichte, die sich im Nachdenken und Sprechen über den Palast der Republik auf vielerlei Arten spiegelt und bricht.

Ich habe meine Kindheit in der DDR verbracht und erinnere mich gut an die Zeit des Mauerfalls, an die Zeit davor, und vor allem an die danach. Meine Eltern und deren gesamter Freundeskreis waren systemkritisch und bürgerbewegt. Dadurch war meine Einstellung zur DDR zunächst relativ klar konturiert. Es sollten einige Jahre ins Land gehen, bis ich offener wurde für die Lebenserfahrungen anderer Menschen und die Auswirkungen auf deren Biografien. Vor allem interessierte ich mich für die Zeit der 1990er Jahre im Osten, die ich als Jugendlicher selbst erlebt habe als eine Zeit des völligen Zusammenbruchs der bekannten Verhältnisse, mit den Armuts- und Marginalisierungserfahrungen sowie Phasen von Schutz- und Hilflosigkeit, die bei vielen Spuren hinterlassen haben, bei manchen vielleicht sogar mehr als das Leben in der DDR selbst. In den Jahren 2019 und 2020 befasste ich mich fotografisch intensiv mit dieser Zeit und war, als die Anfrage für die Porträt-Serie kam, schon ein wenig im Thema. Die Beschäftigung mit dem Palast der Republik setzte diese Arbeiten fort, schließlich wurde auch er »wegmarginalisiert« und steht für die Erfahrungen von Ostdeutschen, mit dem Bedeutungsverlust ihrer Biografien einen Umgang zu finden.

Tobias Kruse, 2022

Auf den vierundvierzig Terminen für die Porträt-Serie lernte ich erneut Menschen mit unterschiedlichsten Biografien kennen, deren Gemeinsamkeit in vielen Fällen einzig ihr Bezug zum Palast ist. Oft spiegelte das Verhältnis zum Ort auch das zum System wider, manchmal war das aber gar nicht so eindeutig. Und einige Personen hatten ihre Beziehung zum Palast der Republik erst nach 1989/90 entwickelt.

Der ostdeutsche Fotograf Roger Melis hat einmal in einem Interview gesagt: »Es findet ein Gespräch zwischen dem Fotografen und der abzubildenden Person statt. Das lässt ein menschliches Interesse entstehen, eine Aufgeschlossenheit.« Tatsächlich kann auch ich mir einen Porträt-Termin ohne ausreichend Zeit, ohne ein Gespräch nicht vorstellen. Um aufgeschlossen zu sein für eine Begegnung, die in so etwas Persönliches, fast schon Intimes wie das eigene Porträt mündet, muss man sich zunächst einmal öffnen. Und das zu erwarten, ist ziemlich viel, fast schon eine Zumutung. Deswegen versuche auch ich, mich zu öffnen und gebe im Austausch Persönliches preis, das ich sonst nicht jeder und jedem einfach so erzählen würde. Wenn so eine Begegnung auf Augenhöhe gelingt und man im Gespräch gemeinsame Verbindungen findet, dann werden die Bilder meistens gut, und je mehr Zeit man miteinander verbringt, desto besser werden sie nach meiner Erfahrung. Oft erlebe ich es tatsächlich, dass die letzten Bilder die besten sind. Dieses Verbunden-Sein im Moment der Begegnung ist, wonach ich strebe, denn man sieht Porträts in der Regel an, ob es diese Verbindung zwischen den beiden Seiten gab. Es wird dann eine schwer zu beschreibende Zugewandtheit und Wärme sichtbar, die aus den Blicken und der Körperhaltung spricht; es ist Aufgeschlossenheit. Aufgeschlossenheit mir und der Kamera gegenüber, die, wenn der Transfer funktioniert, auch die Betrachter*innen erreicht. In diesem Vorgang der Übertragung liegt einerseits eine große Verantwortung für mich, andererseits eine große Chance. Einerseits gebe ich die in der persönlichen Begegnung gezeigte Offenheit weiter an eine meist unbekannte Öffentlichkeit. Andererseits kann dadurch bei fremden Menschen ebenfalls Offenheit für und Interesse an der sie umgebenden Welt entstehen. Darin liegt für mich das Geheimnis und der Zauber eines gelungenen Porträts: Ich sehe einen Menschen, dieser Mensch lässt mich zu sich heran. Er erinnert mich an meine eigene Verletzbarkeit und an mein Menschsein.

Judith Kessler besuchte den Palast als Jugendliche mit Freund*innen.

Judith Kessler, fotografiert am 23. September 2023 in Berlin.

Rudi Denner, Sprecher des Freundeskreises Palast der Republik, machte viele Fotos vom Palast vor 1990 und danach, als er sich für seinen Erhalt einsetzte.

Rudolf Denner, fotografiert am 22. Mai in Berlin

Ibraimo Alberto besuchte mit seinem Boxverein den Palast und trat mit einer Tanzgruppe mit anderen Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik im Rahmen einer politischen Veranstaltung auf.

Ibraimo Alberto, 2023

Elke Giese designte als Mitarbeiterin des Modeinstituts der DDR die zweite Kollektion der Palast-Arbeitskleidung.

Elke Giese, fotografiert am 13. September in Berlin.

Tobias Kruse ist freier Fotograf und Mitglied der Agentur Ostkreuz. Er stammt gebürtig aus Schwerin, lebt aber seit 25 Jahren in Berlin. Er studierte an der Ostkreuz-Schule für Fotografie bei Prof. Ute Mahler und Prof. Arno Fischer.

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