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4. November 2004

by Juliane Bünsche 11.04.2024, 9 Min. read

#otd: Einstürzende Neubauten im Palast der Republik

Der Sänger der Band "Einstürzende Neubauten", Blixa Bargeld (M), steht am Donnerstag (04.11.2004) in Berlin während eines Konzertes auf der Bühne des ehemaligen Palastes der Republik. Präsentiert wurden vor etwa 1.000 Fans zum einen Hits aus zwei Jahrzehnten und Ergebnisse aus der so genannten Unterstützer-Tour. Die Musikinstallation im Palast sei nach Aussage der Band das größte Projekt, das die "Einstürzende Neubauten" je gemacht haben. Foto: Soeren Stache dpa
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Es muss kalt gewesen sein am 4. November 2004 in der Ruine des Palastes der Republik, als die Einstürzenden Neubauten das Gebäude akustisch in Besitz nahmen. Im Publikum sind Mützen und Schals zu sehen, doch auf der Bühne tragen die Bandmitglieder stilsicher schwarze Anzüge und keine Schuhe. Der Palast ist entkernt, seine offengelegte Betonstruktur blau angestrahlt, überall sind farbige Markierungen auf rostigem Eisen zu sehen; Piktogramme eines ganz anderen Geschehens. »Grundstück« hieß das neue Projekt der Neubauten passenderweise, das die Band auf Einladung des Organisationsteams des VOLKSPALASTES aufführte und später unter dem Titel »Palast der Republik« als DVD veröffentlichte.

Gegründet hatten sich die Einstürzenden Neubauten spontan für ein Konzert am 1. April 1980. Was anfänglich unter anderem mit Blixa Bargeld, Gudrun Gut, Bettina Köster und Beate Bartel begann, wurde im Laufe der Zeit zum »Wegbereiter für Genres wie Industrial, Techno und Elektropop«, zur »Antithese zur netten, bunten Hippiewelt«.(1) »Musik für Außenseiter würden sie spielen, […] für Menschen, die sich fremd fühlen auf diesem Planeten«,(2) beschreibt Blixa Bargeld, Sänger und Kopf der Band, die heute immer noch gültige Motivation der Neubauten. Außenseiter waren sie als extrovertierte Punks von Anfang an, obwohl die »Mauerstadt« West-Berlin als Biotop für individuelle Lebensweisen galt. Das Eingeschlossensein erzeugte ein Gefühl von Apokalypse und das Zeitalter der atomaren Bedrohung unterstützte eine fatalistische Endzeitstimmung in der Stadt. Eindrücke, die die Band prägten.

Einige Zeit vor dem Palast-Konzert hatte Blixa Bargeld in einem Interview gesagt: »Ich will keine Töne produzieren, es gibt doch schon genug. Ich will, dass etwas passiert.«(3) Tatsächlich passierte recht viel auf der Bühne. Mehrere Kameras nahmen das Geschehen auf, so auch den Moment, in dem die Ruine zum Klangkörper und Instrument wird: alle Bandmitglieder stehen auf einer Ebene oberhalb der Bühne und erzeugen verschiedene Takte an den freigelegten Metallgerüsten der ehemaligen Balustraden. Zurück auf der Bühne wird auf Autoreifen getrommelt, aufgehängte Metallplatten werden in Schwingung gebracht, Plastikcontainer warten auf ihren Einsatz und ein fast vollständiges Schlagzeug gibt den Ton an. Es sind Alltagsgegenstände wie Bohrmaschinen, die von Beginn an das Charisma und Besondere der Einstürzenden Neubauten ausmachen und für Bands wie Depeche Mode zur Inspiration wurden. Die Ruine des Palastes der Republik stellte eine perfekte Bühne für das experimentelle und außergewöhnliche Musikkonzept der Neubauten dar.
Man könnte annehmen, die Band spielte im Palast, um für dessen Erhalt zu plädieren. Doch ganz im Gegenteil hatte sich Blixa Bargeld für den Abriss ausgesprochen.(4) Das Konzert galt also keineswegs als eine Fürsprache für den Palast, vielmehr bot die Ruine einen urbanen und rauen Klangraum, der sich kommerziellen und herkömmlichen Musikerlebnissen widersetzte – ganz nach Geschmack der Neubauten.

Technisches Know-how, finanzielle Unterstützung und akustischen Beistand bekam die Band durch ihre Supporter. Ähnlich heutiger Crowdfunding-Aktionen riefen die Neubauten ihre Fans dazu auf, sie finanziell zu unterstützen. Als Dankeschön gab es unveröffentlichte Materialien oder wie im Falle des Konzertes im Palast eine Teilnahme an einem hundertköpfigen Supporter-Chor, der die Band als Background bei zwei Songs verstärkte. Für die treuen Unterstützer*innen und Chorsänger*innen hatten die Neubauten bereits am 3. November ein Konzert im Palast gegeben. Mit ihren Support-Initiativen gehören die Neubauten zu den Pionieren alternativer Finanzierungsmöglichkeiten, mit denen es den Musikern schon damals gelang, unabhängig von der Plattenindustrie zu arbeiten.

Nur wenige Zeit nach dem Konzert ist der Palast endgültig abgerissen worden. Die Videoaufnahmen des Konzertes besitzen daher nicht allein dokumentarischen Wert für die Bandgeschichte. Sie sind zu einem »Zeitzeugnis einer untergegangenen Epoche« geworden, wie es die Neubauten selbst schreiben.(5)

Juliane Bünsche ist studentische Mitarbeiterin im Bereich »Geschichte des Ortes« der Stiftung Humboldt Forum. Sie studiert »Bildung und Vermittlung im Museum« als Master an der HTWK Leipzig und hat zuvor 20 Jahre im Szenenbild bei Kino- und Fernsehproduktionen, national und international, gearbeitet.

(1) Philipp Kressmann, 40 Jahre Einstürzende Neubauten, Antithese zur netten, bunten Hippiewelt, 01.04.2020, www.deutschlandfunkkultur.de (nach oben ↑)

(2) Hendrik Schröder, Einstürzende Neubauten, Band unter dem Brennglas, 04.09.2024, www.rbb24.de (nach oben ↑)

(3) Jürgen Ziemer, Einstürzende Neubauten, Die zarteste Versuchung, seit es Lärm gibt, 31.03.2000, www.spiegel.de (nach oben ↑)

(4) Michael Pilz, “Es war richtig, das Stadtschloss abzureißen”, 07.12.2007, www.welt.de (nach oben ↑)

(5) Einstürzende Neubauten, Biography, neubauten.org (nach oben ↑)

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