25. Oktober 1983
Nicht mit dem Sonderzug, sondern mit dem PKW und auch nicht auf dem Weg nach Pankow, sondern nach Berlin-Mitte, überquerte Udo Lindenberg die Grenze Invalidenstraße am Mittag des 25. Oktober 1983. Ziel war der Palast der Republik, wo er am selben Tag endlich sein erstes Konzert geben sollte – als Auftakt zu einer großen Tournee samt Panikorchester durch die DDR im darauffolgenden Jahr.
Für Lindenberg war die Tournee und der Auftritt im Palast das Ziel jahrelanger, vor allem auch gesungener Anstrengungen in seiner unverwechselbaren Art: »Och Erich, ey, bist du denn wirklich so ein sturer Schrat? Warum lässt du mich nicht singen im Arbeiter- und Bauernstaat? Ey, Honey, ich sing’ für wenig Money, im Republik-Palast, wenn ihr mich lasst.«
Obgleich die Stasi Lindenberg 1976 als einen »mittelmäßigen Schlagersänger der BRD, an dem kein Interesse besteht« einstufte und sein »gesamtes Verhalten und Auftreten« als »dekadent« (1) abtat, hatte sich die Situation im Lande bis 1983 wesentlich verschärft. Der Staat stand politisch und wirtschaftlich unter Druck. Die Ausbürgerung Wolf Biermanns sieben Jahre zuvor war längst zu einem dauerhaften Menetekel für die kulturelle und politische Erstarrung des Landes geworden.
Im Zusammenhang mit Lindenbergs Engagement für die Friedensbewegung und gegen die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen sowie einer über den gemeinsamen Manager Fritz Rau vermittelten Bedingung Harry Belafontes, er werde nur dann in Berlin auftreten, wenn dies auch Lindenberg gestattet werde, organisierte ausgerechnet die FDJ – gegen den Widerstand der Künstler-Agentur der DDR – schließlich seinen Auftritt im Palast der Republik.
Dabei wollte die Stasi nichts dem Zufall überlassen. Die 4.000 Zuhörer*innen für den Großen Saal im Palast waren handverlesen und präsentierten sich zum größten Teil im blauen FDJ-Hemd. Die Lindenberg-Fans der Herzen aber versammelten sich nicht in, sondern schon am Mittag vor dem Palast. Nach einem Gespräch mit Egon Krenz und der Bühnenprobe im Palast konnte Lindenberg seinen Bewachern entkommen: »Entgegen getroffener Absprachen«, so protokolliert die Stasi noch am selben Tag, »kam Udo Lindenberg nicht den festgelegten Weg über die Haupttreppe zum Ausgang, sondern verließ den Palast der Republik über den Bühneneingang, Marstall-Seite«. Hier wurde er von seinen Fans frenetisch bejubelt und buchstäblich auf den Schultern getragen. (2)
Für das Konzert waren von vorneherein ganze vier ausgesuchte Lieder vorgesehen, die von den FDJ’lern artig beklatscht wurden. Seine nicht abgesprochenen Abschlussworte auf der Bühne aber verwiesen nicht mehr nur auf die bösen Raketen im Westen, sondern auch auf die im Osten: »Weg mit allem Raketenschrott, in der Bundesrepublik, in der DDR – nirgendwo wollen wir auch nur eine einzige Rakete sehen«. (3) Zwischenzeitlich hatten sich – die Begegnung vom Mittag hatte sich schnell herumgesprochen – vor dem jetzt abgeriegelten Palast weit mehr Fans als noch am Nachmittag eingefunden, die »Wir wollen Udo sehen« und »Wir wollen rein« skandierten. Panik ergriff die Stasi, sie prügelte auf die Fans ein, verhaftete und drangsalierte am Ende mehr als 50 von ihnen. (4) Drinnen endete das Konzert um genau 22.29 Uhr. Udo Lindenberg verließ die DDR, wie er gekommen war, über den Grenzübergang Invalidenstraße.
Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Aufgrund der Vorkommnisse war der Stasi klargeworden, dass sie die versprochene DDR-Tournee im kommenden Jahr niemals würde kontrollieren können. Die Staatsführung sagte sie daraufhin kurzerhand ab. Es blieb das erste und letzte Konzert von Udo Lindenberg in der DDR.
Reinhard Alings ist Teil des Programmteams »Der Palast der Republik ist Gegenwart«. Er ist Kurator der Ausstellung »Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart«, die seit 2024 im Humboldt Forum zu sehen ist.
(1) Bundesarchiv (Hg:), Udo rockt für den Weltfrieden. Das Konzert von 1983 in den Stasi-Unterlagen, Berlin 2013, S. 13. (nach oben ↑)
(2) Ebd. S. 64. (nach oben ↑)
(3) Zit. nach Der Tagesspiegel vom 24.10.2023 (nach oben ↑)
(4) Nikolaus Becker, Meine Erinnerungen an das Friedenskonzert mit Udo Lindenberg, Bundesarchiv (wie Anm. 1), S. 72–75. (nach oben ↑)