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21. August 1980

by Jutta Braun 08.21.2024, 5 Min. read

#otd: Olympiaball mit den »Diplomaten im Trainingsanzug«

Erich Honecker, Generalsekretär des ZK der SED und Staatsratsvorsitzender der DDR, tanzt beim Olympiaball im August 1980 im Berliner "Palast der Republik" mit der Leichtathletin Bärbel Wöckel (geborene Eckert). Die Sprinterin vom SC Motor Jena hatte bei den Olympischen Spielen in Moskau ihre Olympiasieger über 200 m und mit der 4mal 100-m-Staffel von Montreal wiederholt. Damit avancierte sie zur einzigen deutschen Leichtathletin, die bei Olympischen Spielen viermal Gold gewann (undatiertes Archivfoto). Foto: Werner Schulze ACHTUNG! KEINE BILDFUNKVERWENDUNG || Mindestpreis 40 Euro
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Am 21. August 1980 tanzte Erich Honecker, Staatsratsvorsitzender der DDR, beim Olympiaball im Palast der Republik mit der Leichtathletin Bärbel Wöckel. Mit der gemeinsamen Runde auf dem Parkett feierten der Funktionär und das Sportidol zugleich den Erfolg in einem Gesellschaftsbereich, in dem die DDR dem westdeutschen Gegenüber konsequent überlegen blieb: Der Spitzensport. Denn immer wieder erklang bei internationalen Wettkämpfen die Hymne des zweiten deutschen Staates zur Siegerehrung. Die staatliche Würdigung der zurückkehrenden Olympiateilnehmer*innen hatte in der DDR eine lange Tradition – bis 1972 fand die Festivität in der »Dynamosporthalle« in Hohenschönhausen, Standort der von Stasi-Minister Erich Mielke angeführten Sportvereinigung Dynamo, statt. 1976 wurden die von den Sommerspielen in Montreal zurückkehrenden Olympionik*innen dann erstmals in dem im selben Jahr eröffneten Palast der Republik empfangen. Der neue Ort, in der Mitte der Hauptstadt der DDR, unterstrich den hohen Stellenwert, den die Partei dem Sport als Symbol der Überlegenheit des Sozialismus zuwies.

1980 konnten Erich Honecker und Bärbel Wöckel dann mit ihrem gemeinsamen Tanz den Fortgang einer Erfolgsserie zelebrieren: Erneut hatte die DDR bei Olympia in Moskau den zweiten Platz in der Medaillenliste erzielt – ein grandioser Erfolg des kleinen Landes. Die Sprinterin vom SC Motor Jena konnte zudem ihre Olympiasiege von Montreal wiederholen und avancierte so zur bis dahin einzigen deutschen Leichtathletin, die bei Olympischen Spielen viermal Gold gewann.

Doch bald darauf zogen Wolken auf: 1984 gelang der DDR zwar der Coup, sich bei den Winterspielen in Sarajewo 1984 auf Rang 1 der Nationenwertung zu schieben und damit sogar den »großen Bruder« Sowjetunion hinter sich zu lassen – doch war die Hegemonialmacht nicht erfreut über diese Deklassierung. 1984 folgte die DDR dann nur äußerst widerwillig dem Boykott der Spiele in Los Angeles durch Moskau, denn mit dem Fernbleiben verlor sie ihre wichtigste Bühne der Selbstdarstellung. Zwar erhielten die DDR-Athlet*innen dennoch ihre Prämien und sogar ihre Olympia-Bekleidung. Doch konnten beim Sportler-Ball, der 1984 zu Ehren des »35. Jahrestags der DDR« stattfand, nur die Erfolge begangen werden, die von der DDR bei »Ersatzspielen« der sozialistischen Länder erzielt worden waren. Seit 1985 Michail Gorbatschow als Generalsekretär des Zentralkomitees der kommunistischen Partei der Sowjetunion amtierte und zu »Perestroika« und »Glasnost« aufrief, vereiste das Verhältnis zwischen DDR und sowjetischer Führungsmacht zusehends – denn Erich Honecker wollte dem Reformkurs nicht folgen. Die DDR erzielte zwar weiterhin unbeirrt Sporterfolge, 1988 gab es erneut einen zweiten Platz bei Olympia in Seoul, und auch Honecker feierte wieder beim Olympiaball im Palast der Republik. Doch vermochte der Spitzensport nicht mehr das zu tun, wozu er ausersehen war, nämlich die Herrschaft der Staatspartei zu stabilisieren – das Partei-Regime erodierte zusehends. Nach dem Abtritt der SED-Führung und dem Mauerfall 1989 gab es einen ambivalenten Blick auf die Sporterfolge: denn einerseits kamen Doping-Verstöße ans Licht, doch zugleich versuchte der bundesdeutsche Sport, strukturell vom ehemaligen »Sportwunderland« DDR zu lernen. Die Sportler-Bälle im Palast der Republik erinnern bis heute an die hohe Wertschätzung des Sports in der DDR – und zugleich an die symbolische Rolle der Athleten und Athletinnen als »Diplomaten im Trainingsanzug« im Dienst des Sozialismus.

Dr. Jutta Braun ist Historikerin und Abteilungsleiterin am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF). Der Schwerpunkt ihrer Forschung ist die Geschichte der deutschen Teilung und Vereinigung, sowie die Sportgeschichte und Zeitgeschichte des Kunstbetriebes.

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